Landeshauptstadt: Ein Hauptbahnhof mit Hafen
Pläne für einen Neubau blieben bis nach der deutschen Wiedervereinigung unausgeführt
Stand:
„Bei den Auseinandersetzungen um den Bahnhof Potsdam gab es im Gegensatz zu den Diskussionen um den Wiederaufbau des Stadtschlosses einen Unterschied: Alle Beteiligten waren sich darüber einig, daß ein Bahnhof gebaut werden müsse. Allerdings war diese Tatsche allein noch keine Garantie dafür, daß auch tatsächlich gebaut würde, wie es vor fünf Jahren beschlossen worden war.“ Dies schrieb die in Westberlin herausgegebene „Potsdamer Tageszeitung“ im Jahr 1956. Den Zustand des Bahnhofs schildert das Blatt so: „Mit den Propagandabroschüren in der Hand suchen die Reisenden vergeblich das Schmuckstückchen des modernen, ehrwürdigen Potsdam. Unordentliche Geröllmassen auf den angrenzenden Geländestreifen umrahmen den schmutzigen S-Bahn-Anbau, die staubigen Baracken der Gepäckabfertigung und der Post. Die S-Bahn- und Fernzüge laufen unüberdachte Bahnsteige an, an den Eisengerüsten frißt der Rost, die Wände sind mit einer klebrigen, fetten Rußschicht bedeckt - nur die Transparente des Reichsbahnausbesserungswerks werden halbjährlich neu gestrichen -, und in den Unterkünften und Fahrkartenschaltern heizen die Eisenbahner noch immer bullernde Kanonenöfchen, die aus eisernen Röhren bläkenden Qualm über das Bahnhofsgelände lagern.“
Über die ersten Planungen für einen neuen Hauptbahnhof findet sich in den Brandenburgischen (heute Potsdamer) Neuesten Nachrichten von Mai 1951 ein bebilderter Bericht. Das im Alten Rathaus in der Ausstellung „Potsdam plant seinen Aufbau“ vorgestellte Modell zeigt eine Bahnhofshalle mit dem herkömmlichen gewölbten Dach, wie man es vom Berliner Ostbahnhof oder dem Leipziger Hauptbahnhof her kennt. Der zentrale Eingang sollte fast exakt an jener Stelle liegen, wo er dann Ende der 90er Jahre beim Neubau des Bahnhofscenters eingeordnet wurde. Den alten Wasserturm, der jetzt als Restaurant genutzt wird, wollten die Architekten schon damals erhalten. Er hätte an der Südwestecke der Bahnhofshalle gestanden. Das Bahnhofsgelände sollte mit Trümmerschutt auf die Höhe der Langen Brücke aufgeschüttet werden – eine Idee, die der in der „Planungsgruppe Zentrum“ mitwirkende Architekt Leucht, Chefarchitekt von Stalinstadt und Rostock-Lütten Klein, bereits Jahre zuvor entwickelt hatte. Wie der Architekt Gerhard Schulz-Schünemann 1955 in der „Märkischen Volksstimme“ schrieb, würde sich dadurch von der Babelsberger Seite aus „vom künftig höher gelegenen Bahnhofsvorplatz ... dem Besucher die Stadtsilhouette mit den Bauten unserer neuen gesellschaftlichen Ordnung darbieten“. Einen Güterbahnhof, der dann doch bis über die politische Wende hinaus bestand und sogar zum Containerumschlagplatz ausgebaut wurde, war in den Planungen von 1951 nicht mehr vorgesehen. Geradezu revolutionär mutet der Vorschlag an, den Bahnhof mit einem Hafen zu verbinden. Dazu sollte der Havelarm Neue Fahrt bis hierher ausgebaut werden.
Die Planungen, die auch den seit den 1930er Jahren erwogenen Bau einer Havelbrücke in Höhe der Packhofstraße wieder aufgriffen, blieben ein Luftschloss. Dieses Schicksal war ebenso den zwischen 1953 und 1957 vorgelegten Entwürfen des Landschaftsarchitekten Walter Funcke beschieden, die im Zusammenhang mit einer Bebauung und Sportflächengestaltung des Geländes zwischen Stadtbahnhof und Babelsberger Park einen repräsentativen Bahnhofsneubau mit vorgelagertem Rundplatz vorsahen. 1961 sank mit dem Mauerbau und der Einstellung des S-Bahnverkehrs nach Westberlin der Standort dann ohnehin fast zur Bedeutunglosigkeit herab. Die Rolle als Hauptbahnhof übernahm der heutige Bahnhof Pirschheide, von dem aus die Potsdamer „Pendler“ über den so genannten Außenring ihre Arbeitsplätze in Ostberlin erreichten.
Erst nach der Grenzöffnung und der Wiederherstellung des durchgehenden (S-)Bahnverkehrs gewann das Projekt eines Neubaus wieder Relevanz. Als erstes beschäftigte sich das 1991 in Potsdam veranstaltete Internationale Architektenseminar „Auf der Suche nach dem verlorenen Bild“ mit dem Problem. Es befürwortete einen Neubau, forderte aber, den „historischen Stadtbahnhof mit einzubeziehen“. Drei Obergeschosse sollten dabei „mit Rücksicht auf die Altstadt am anderen Ufer der Havel“ nicht überschritten werden. Die Deutsche Bahn schlug als Bauherr diese Empfehlungen ebenso in den Wind wie die Stadtverordnetenversammlung, die dem Bau des „Bahnhofscenters“ am 4. September 1996 zustimmte. Der überdimensionierte und architektonisch unbefriedigende Neubau hätte Potsdam um ein Haar den Platz auf der Unesco-Welterbeliste gekostet.
Mag sein, dass der Denkmalpfleger und Ehrenbürger Prof. Friedrich Mielke recht hat, wenn er dem alten, beim englischen Bombenangriff am 14. April 1945 weitgehend zerstörten Bahnhofsgebäude keinen Denkmalwert zumisst. Doch das kann seine Bedeutung nicht schmälern. Mit seinen gepflegten Restaurants und Salons, mit Konzerten und zahlreichen anderen Veranstaltungen war er nicht allein eine Bahnstation für Reisende, sondern ein kultureller Mittelpunkt Potsdams. „Das elegante, von Herrn Heinzelmann eingerichtete Lokal in Potsdam, nächst dem Bahnhofe, bietet den Spazierfahrern auch zugleich angenehme Aufenthaltsorte dar“, berichtete der Journalist Ludwig Rellstab anlässlich der Eröffnung der ersten preußischen Eisenbahnlinie Berlin-Potsdam am 22. September 1838. Dem heutigen Centermanagement kann zugestanden werden, dass es unter dem Dach des modernen Baus diese Traditionen in Teilen fortzusetzen versucht.
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