Landeshauptstadt: Ein Job reicht oft nicht aus
Trotz guter Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt müssen immer mehr Potsdamer dazuverdienen. Die Zahl der Aufstocker nimmt hingegen leicht ab
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Nach acht Stunden Vollzeitarbeit beginnt nicht der wohlverdiente Feierabend, sondern der nächste Job – oft in der Gastronomie oder in einem Call Center. Für eine wachsende Zahl von Potsdamern sieht so ihr Arbeitalltag aus. Immer mehr sind sogenannte Multi-Jobber, deren Verdienst aus einem Job nicht reicht.
3273 Potsdamer hatten zum letzten Stichtag am 30. Juni 2012 einen Nebenjob. Das ergab eine PNN-Anfrage bei der Potsdamer Agentur für Arbeit. Vier Jahre zuvor waren es noch 2739. Die Zahl der Multi-Jobber wächst somit schneller als die Bevölkerung in der Landeshauptstadt. Ähnliche Erkenntnisse hatte kürzlich eine Studie des Pestel-Instituts Hannover im Auftrag der Gewerkschaften Verdi und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ergeben. Demnach ist die Zahl derjenigen, die neben ihrer Hauptbeschäftigung noch einen Mini-Job haben, in den vergangenen Jahren in Potsdam drastisch gestiegen. Studienleiter Matthias Günther spricht von einer Zunahme von nahezu 160 Prozent in den letzten zehn Jahren. Im vergangen Jahr hätten sich rund fünf Prozent der Beschäftigten in Potsdam mit einem 400-Euro-Job etwas dazuverdient, heißt es in der Studie.
Mit der Entwicklung liegt Potsdam durchaus im Trend. Die Anzahl der sogenannten Multi-Jobber mit zwei oder mehr Arbeitsverhältnissen hat sich in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt: von 1,15 auf 2,57 Millionen. Am häufigsten haben Menschen in Baden-Württemberg und Bayern einen Nebenjob. Knapp zehn Prozent der Beschäftigten hat dort mindestens zwei Jobs. Die Regionen seien extrem teuer, so Günther. Die Lohnentwicklung halte nicht mit der Steigerung der Mieten und Preise mit.
Für Potsdams Verdi-Chef Marco Pavlik sind für die Zunahme der Multi-Jobber vor allem niedrige Löhne verantwortlich. „Aus der puren Lust an einer 55- oder 60-Stunden-Woche macht das jedenfalls keiner“, so Pavlik. Die Betroffenen müssten auf einen oder mehrere Nebenjobs ausweichen, um überhaupt über die Runden zu kommen. „Die Lebenshaltungskosten steigen. Das beste Beispiel ist das Wohnen“, so Pavlik.
Darüber, wie viel die Potsdamer Arbeitnehmer tatsächlich verdienen, gibt es von der Agentur für Arbeit wegen einer Umstellung der statistischen Erhebungsmethode keine aktuellen Zahlen. Im Jahr 2010 fielen 15,9 Prozent der Arbeitnehmer in den unteren Lohnbereich und verdienten weniger als 1379 Euro brutto im Monat mit einer Vollzeitarbeit. Das waren 6857 Potsdamer.
Die Gewerkschaften fordern daher einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Das könne jedoch nur ein Einstieg sein, so NGG-Geschäftsführer Uwe Ludewig. Ein solcher Mindestlohn reiche am Ende gerade mal für ein Leben knapp über dem Hartz-IV-Satz und führe wegen der niedrigen Rentenansprüche direkt in die Altersarmut.
Der hohe Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnbereich in Potsdam sei ein Skandal, meint Potsdams Linke-Chef Sascha Krämer. Seine Partei verlangt sogar einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde. Ein flächendeckender Mindestlohn nutze nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Steuerzahlern, so Krämer. Schließlich müsste der Verdienst vieler Arbeitnehmer auf Staatskosten aufgebessert werden.
Unterdessen ist die Zahl der sogenannten Aufstocker in Potsdam leicht rückläufig. 3801 Potsdamer erhielten im Januar zusätzliche Leistungen vom Jobcenter, weil sie trotz Vollzeitarbeit nicht genug verdienten. Ein Rückgang um gut 200 seit 2010. Damals mussten noch 4045 Potsdamer ihren Lohn vom Jobcenter aufbessern lassen. Allerdings sind das immer noch mehr als vor fünf Jahren als 3520 Potsdamer Arbeitslosengeld-II bezogen, obwohl sie eigentlich arbeiteten. 35,7 Prozent der Potsdamer ALG-II-Empfänger sind gar nicht arbeitslos, sondern nur schlecht bezahlt.
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