Homepage: Ein kollektives Unbehagen
Auftakt der Civitas Reihe zum Thema Arbeit
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Die Rückkehr zur Vollbeschäftigung zu beschwören, ist bei der Politik beliebt. Doch bei genauerem Hinsehen ist diese „Vollbeschäftigung“ doch nur Wunschdenken. Denn bis auf kurze Zeitspannen hat es in der Industriegesellschaft nie wirkliche Vollbeschäftigung gegeben. „Und das, was man in der Wirtschaftswunderzeit der 50er/60er Jahre in der Bundesrepublik als Vollbeschäftigung bezeichnete, stützte sich letztlich auf 60 Millionen Tote des Zweiten Weltkrieges“, gibt die Sozialwissenschaftlerin Prof. Helene Kleine, Rektorin der Fachhochschule Potsdam zu bedenken. Zum Auftakt der Civitas-Vorlesungsreihe „Arbeit! Arbeit! Arbeit?“ hatte sie am Montagabend einige Gedanken und vor allem Fragen zum Umbruch von der Erwerbsarbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft formuliert.
Gerade für die Studierenden stelle sich heute die Frage, wie sich das Arbeitsleben in Zukunft in unsere Gesellschaft einfügt. „Die Frage ist auch, inwiefern man den Arbeitsmarkt dann selbst gestalten kann“, so Kleine. Heute noch sei es ein traditionelles Muster, dass man sich in erster Linie über das Arbeitsleben definiert. Der Zeitplan der Erwerbsarbeit bestimmt den gesamten Tagesablauf, die Arbeit gibt zudem Bestätigung und schafft soziale Bindungen. Ein tradiertes Verhaltensmuster, das gerade auch Arbeitslose heute nicht einfach von heute auf morgen ablegen können. Vor 100 Jahren stellte Max Weber fest: „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, wir müssen es.“ Das ist bis heute tief verwurzelt.
Die gesellschaftliche Dominanz der Arbeit fand sich dann auch in Ost- wie in Westdeutschland. Wobei eine extreme Ballung der Arbeitszeit gerade in den mittleren Jahren der Menschen zu verzeichnen ist, was es bis heute schwierig macht, Arbeit und Familie zu vereinen. Nun steht, allem voran in Ostdeutschland, eine massive Deindustrialisierung ins Haus, die Verlagerung zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft mit all ihren beruflichen Verwerfungen für traditionelle Berufsbilder. „Arbeit ist heute elastischer, poröser und fluider geworden“, so Kleine. Zunehmend verlagere sich die Arbeit von Festanstellung zur Projektarbeit und kurzzeitigen Jobs. Einerseits sollte man heute Netzwerke knüpfen, sich aber andererseits nicht zu eng in diese begeben. „Wir leben in einer selbst produzierten Struktur, die wir auch selbst zerstören können“, fasst die Sozialwissenschaftlerin zusammen. Daraus resultiere ein kollektives Unbehagen, eine Angst vor der Zukunft und eine Scheu vor dem Risiko.
In der Wissensgesellschaft gewinnt Wissen zunehmend an Bedeutung für Soziales Handeln. Wer etwas in Gang bringen möchte braucht Wissen. Die Wissensgesellschaft erfordere vom Einzelnen wie auch der Gesellschaft ein hohes Maß an Selbstgestaltungswillen. „Die Frage ist nun aber, ob das von allen geleistet werden kann“, so Kleine. Man müsse darüber nachdenken, wie man sich von der Erwerbstätigengesellschaft verabschieden kann, ohne dabei große Teile der Gesellschaft abzuhängen. Gleichzeitig gibt es mit den wegbrechenden Arbeitsmärkten eine Diskussion um die Tätigkeitsgesellschaft. In ihr werden auch nicht erwerbstätige Arbeitsfelder wie Familienarbeit oder das Ehrenamt eine wichtige Rolle spielen. Jan Kixmüller
Am 14. November spricht Prof. Dr. Claus Baldus über „Arbeit – Freiheit – Welt“, 18 Uhr, „Schaufenster“ der FH Potsdam, Friedrich-Ebert-Str. 6.
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