
© dpa
Hebammen in Potsdam: „Ein lächerlicher Stundenlohn“
Die Versicherungskosten für Hebammen steigen, viele kritisieren die unsicheren Arbeitsbedingungen. Erste Hebammen in Potsdam geben deswegen auf und suchen sich neue Jobs.
Stand:
Potsdam - Sie hat genug: Die Potsdamer Hebamme Gudrun Nowak hängt ihren Job an den Nagel. „Als mein Sohn geboren wurde, fingen wir Hebammen an zu protestieren, und ich habe ihn dabei zu Demonstrationen mitgenommen“, erzählt die 36-Jährige. „Jetzt wird mein Sohn bald eingeschult – aber es hat sich seitdem nichts an unserer Situation verändert.“
Im Gegenteil: Am 1. Juli steigt die Berufshaftpflichtversicherung für die freiberuflich arbeitenden Geburtshelferinnen zum wiederholten Male um 20 Prozent. Statt bislang rund 5100 Euro jährlich müssen sie nun 6300 Euro zahlen, um sich für den seltenen Fall einer Schädigung von Mutter oder Kind bei der Geburt abzusichern. Hinzu kommt, dass kürzlich die Verhandlungen des Deutschen Hebammenverbandes mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung gescheitert sind, die zum 1. Juli eine Erhöhung der Vergütungen um fünf Prozent sowie einen „Sicherstellungszuschlag“ zum Ziel hatten – einen finanziellen Zuschuss für jene Geburtshelferinnen, die freiberuflich nur wenige Geburten begleiten und sich deshalb die hohe Prämie kaum leisten können. Streitpunkt ist etwa, ob die Krankenkassen außerklinische Geburten im Falle sogenannter Risiko-Schwangerschaften bezahlen müssen oder nicht.
"Eine Wahnsinnserhöhung"
„Dass ich aufhöre, hat tatsächlich mit der Haftpflichtversicherung zu tun. Mit zunehmendem Alter mag ich die Unsicherheit, ob diese Summe immer weiter steigt, nicht mehr mittragen“, sagt die langjährige Mitarbeiterin des Babelsberger „Geburtshauses Apfelbaum“, die dort jährlich 15 bis 20 Geburten begleitet. Außerdem engagiert sich Gudrun Nowak als Koordinatorin in der „Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe“, die die rund 10.000 Geburten statistisch auswertet, die Hebammen jedes Jahr in den Kliniken, Geburts- und Privathäusern in Brandenburg begleiten. Nun orientiert sich Gudrun Wagner beruflich um und beginnt im September eine Ausbildung im Verwaltungsbereich.
„Das ist eine Wahnsinnserhöhung“, kommentiert auch Martina Schulze vom Hebammenverband Brandenburg die steigende Versicherungsprämie. In Potsdam sind diejenigen Hebammen davon betroffen, die freiberuflich an den beiden Geburtshäusern und als sogenannte Beleghebammen an den beiden Krankenhäusern der Stadt arbeiten – auch dort ist man alarmiert. „Die Versicherung wird immer teurer“, erklärt Roberto Kurzeja, Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe am St.-Josefs-Krankenhaus, in der zehn Beleghebammen tätig sind. „Das könnte dazu führen, dass die Freiberuflichkeit irgendwann aufhört.“ Auch für das Krankenhaus stelle die erhöhte Haftpflichtversicherung eine zunehmende Belastung dar, weil es einen Teil davon übernehme. Allerdings, schränkt Gynäkologe Kurzeja ein, seien am stärksten diejenigen Hebammen betroffen, die an Geburtshäusern in Teilzeit arbeiten und nicht so viel verdienen. Mit dem Problem, dass Hebammen ihren Beruf deshalb aufgeben, habe er bislang allerdings nicht zu tun gehabt.
Geburtshilfe sei gerade mal kostendeckend
Die Haftpflichtversicherung stellt aber nur eines der Probleme dar. Ulrike Bassenge, Hebamme im „Geburtshaus am Neuen Garten“, bietet alles an, von Schwangerschaftsvor- und Nachsorge über Geburtshilfe bis hin zur Wochenbettbetreuung. Bei einer Hausgeburt verdiene sie 700 bis 800 Euro, erzählt die 37-Jährige, im Geburtshaus gebe es rund 500 Euro und als Beleghebamme im Krankenhaus nur 315. „Das ist ein lächerlicher Stundenlohn angesichts der Verantwortung, die wir in unserem Beruf übernehmen“, kritisiert die diplomierte Sportwissenschaftlerin. Wenn es gut laufe, sei die Geburtshilfe „gerade einmal eine kostendeckende Aktion“. Aufwand und Nutzen stünden in keinem Verhältnis.
Mittlerweile beschränken manche ihrer Kolleginnen sich deshalb auf die Schwangerschaftsvor- und Nachsorge sowie auf die Wochenbettbetreuung – und geben die Entbindung der Frauen auf. Zwar müssen sie auch für diese Tätigkeiten einen Versicherungsbeitrag leisten, der aber wesentlich geringer ausfällt.
Die Frauen sind die Leidtragenden
„Wir müssen nicht mit unserem Beruf aufhören, weil wir zu viel Haftpflicht zahlen müssen“, meint daher Claudia Krönke, die Gründerin und Leiterin des „Geburtshauses Apfelbaum“. „Allerdings wird es enger: Wir bekommen ein Nachwuchsproblem, weil alle denken, Hebammen verdienen zu wenig.“ Außerdem wolle heute kaum noch jemand im Drei-Schicht-System arbeiten. „Als eine Mitarbeiterin aufhörte, hatte ich Probleme, eine neue zu finden.“
Ulrike Bassenge aus dem „Geburtshaus am Neuen Garten“ macht trotzdem weiter. „Wenn immer mehr Hebammen die eigentliche Geburtshilfe wegen zu hoher Prämien einstellen, sind die Leidtragenden die Frauen“, kommentiert sie die Lage. „Ihnen wird die Wahlmöglichkeit des Geburtsortes genommen, sie sind gezwungen, in eine Klinik zu gehen.“ Potsdam sei mit vielen Hebammen, zwei Geburtshäusern und zwei Kliniken noch relativ gut aufgestellt. „Aber hinter der Grenze von Potsdam geht es schon los. Wir haben teilweise Nachfragen aus Brandenburg an der Havel – nicht nur nach Geburtshilfe, sondern auch nach Wochenbettversorgung“, erzählt Bassenge. Sie oder eine ihrer Kolleginnen nimmt dann schon einmal den weiten Weg auf sich, um dort im Krankenhaus eine Frau bei der Entbindung zu unterstützen. Bassenge: „Solange die Preiserhöhungen für die Haftpflicht nicht unterbunden werden, bleibt es eine unruhige Zeit.“
Sie wollen mehr darüber lesen, was Potsdam bewegt? Hier geht es zum E-Paper >>
Isabel Fannrich-Lautenschläger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: