CHRONIK: Ein Monat, den Potsdam lange nicht vergessen wird
16. April: In den frühen Morgenstunden wird der 37-jährige Ermyas M.
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16. April: In den frühen Morgenstunden wird der 37-jährige Ermyas M. an der Straßenbahnhaltestelle Charlottenhof niedergeschlagen. Dabei fallen die Worte „Scheiß-Nigger“, die auf der Handymailbox der Ehefrau des Deutsch-Äthiopiers aufgezeichnet werden. Die Ärzte des Ernst von Bergmann-Klinikums versetzen ihn wegen der Schwere der Kopfverletzungen ins künstliche Koma.
17. April: Oberbürgermeister Jann Jakobs spricht von einer „verabscheuungswürdigen Tat“, Polizeipräsident Bruno Küpper von „versuchtem Mord“ und einem „fremdenfeindlichen Verbrechen“. Abends versammeln sich mehr als 400 Menschen aus der linken Szene um gegen rechte Gewalt zu demonstrieren.
18. April: Generalbundesanwalt Kay Nehm schaltet sich in die Ermittlungen ein, weil die Tat geeignet sei, die innere Sicherheit Deutschlands zu gefährden. Die Polizei veröffentlicht den Mitschnitt der Handymailbox im Internet. Der Verband der Hausärzte erwägt die Absage eines geplanten Kongresses – Sicherheitsbedenken.
19. April: Fürbitt-Andacht in der Potsdamer Friedenskirche. Der Verein „Brandenburg gegen Rechts!“ richtet ein Spendenkonto für die Familie des Opfers ein. Erste Hotelstornierung einer nigerianischen Delegation. Internationale und überregionalen Medien berichten intensiv über die Tat.
20. April: Die beiden Tatverdächtigen, der 29-jährige Björn L. und der 30-jährige Thomas M., werden festgenommen. Bis heute bestreiten sie ihre Tatbeteiligung. Belastet werden sie inzwischen durch DNA-Spuren am Tatort und Stimmenanalysen. Ihre Alibis gelten bei den Ermittlern als unglaubwürdig. Allerdings sind die beiden Verdächtigen der Polizei nicht als Rechtsextremisten bekannt, werden aber als „fremdenfeindlich“ eingestuft. Gleichzeitig löst Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble einen Eklat aus: Er relativiert das vermutlich fremdenfeindliche Tatmotiv. Es würden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalt.
21. April: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm kritisiert, dass Generalbundesanwalt Nehm den Fall an sich gezogen hat. Er löst damit tagelangen Streit aus. Wie schon zuvor warnt er vor voreiligen Schlüssen: Das Tatmotiv sei noch unklar. Am Abend versammeln sich auf dem Luisenplatz 4000 Menschen, um ihre Solidarität zu zeigen.
26. April: Neuer Eklat: Die CDU-Stadtfraktion unterzeichnet einen Brief an die Familie des Opfers nicht, weil das Wort Rassismus auftaucht. Der Brief wird nur von den übrigen Abgeordneten unterzeichnet.
28. April: Aufatmen: Ermyas M. schwebt nicht mehr in Lebensgefahr.
14. Mai: Ein Internationales Fest gegen Fremdenfeindlichkeit findet auf dem Bassinplatz statt.
Gestern, 16. Mai: Generalbundesanwalt Nehm sieht bei den Ermittlungen noch kein klares Gesamtbild. Es hänge vor allem davon ab, „ob und wie sich der Geschädigte zum Tathergang äußern“ könne. Falls sich der Verdacht des versuchten Mordes nicht bestätige, werde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Potsdam zurückgegeben. „Ein selbstverständliches Procedere“, so Nehm. HK
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