
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Ein Ort zum Wiederkommen Zum fünften Mal lud die Nikolaigemeinde zum „Gedeckten Tisch“ ein. Wieder kamen Tausende
Wie beim Kaffeekränzchen sitzen die drei Damen beieinander. Es gibt Streuselkuchen und Cappuccino, auch Wiener Würstchen.
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Wie beim Kaffeekränzchen sitzen die drei Damen beieinander. Es gibt Streuselkuchen und Cappuccino, auch Wiener Würstchen. Sie haben sich eine Weile nicht gesehen, die drei, denn eine von ihnen kommt aus Beelitz. Aber der Termin am Wochenende, wenn in der Nikolaikirche der „Gedeckte Tisch“ stattfindet, der ist Tradition. „Unsere Männer sind alle schon tot, wir sind alleine, das ist manchmal schwer“, sagt eine. Auch wegen der kleinen Rente. Mal ausgehen, in ein Konzert, das sei bei 700 Euro kaum möglich. Und so nutzen sie den „Gedeckten Tisch“: Für einen symbolischen Euro kann man hier lecker essen und im Altarraum spielen Musiker, treten allerlei Künstler auf.
Zum fünften Mal hat die Gemeinde dieses jährliche Event organisiert, von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Das Konzept: Die Kirche wird Freitag bis Sonntag zu einem offenen Haus für alle, nicht nur für Menschen, die bedürftig sind, auch wenn diese Idee sicherlich im Vordergrund steht. Hier kann sich jeder an der Tafel mit warmen Speisen, Kuchen und Obst bedienen oder wird sogar bedient. In der Kleiderkammer bekommt jeder, was er braucht, und wie in jedem Jahr sind zwei Friseure vor Ort, die kostenlos Haare schneiden. Aber auch ein Kulturprogramm findet statt, Musik von Orgelandacht bis zur Jazzcombo, in diesem Jahr ist das Kindertheater Buntspecht mit dabei. Das ganze Kirchenhaus wird zum Ort der Begegnung, in den Bänken und an extra aufgebauten Tafeln wird gegessen, in den Seitenräumen gibt es Angebote für Kinder, ein Ärzteteam bietet einen Medizincheck, es gibt sogar die Möglichkeit, sich professionell massieren zu lassen. Dazu kommen Beratungsangebote in sozialen oder rechtlichen Fragen und seelsorgerische Angebote. Mehrere Pfarrer und Seelsorger sind vor Ort. Das niedrigschwellige Zueinanderkommen ist wichtig, hier und da entwickeln sich Gespräche bei einem Kaffee.
„Wir beobachten, dass immer mehr Besucher herkommen, weil sie Gesellschaft suchen. Alte Menschen, die verwitwet sind, zum Beispiel“, sagt Pfarrer Matthias Mieke. Etwa 4000 Gäste kamen jedes Jahr, auch dieses Mal werden so viele erwartet. Am Samstag ist Kinderprogramm, unter den Gästen sind besonders viele Familien, auch Flüchtlingsfamilien. In den Gängen stehen Kinderwagen, dazwischen springen die Kleinen herum, manche mit bunt geschminkten Gesichtern, in der Spielzeugecke ist viel los. Helfer sammeln mit kleinen Körben Geschirr ein oder bringen Kaffee zu den Tischen – auch das gehört zum Konzept, dass man als Gast bisweilen bedient wird. Am Eingang bekommt jeder eine Rose überreicht, die darauf einstimmen soll.
Es ist ein immenser Aufwand, den die Gemeinde betreibt. Sie holt dazu viele ehrenamtliche Helfer ins Boot, fast 200 in diesem Jahr, dazu kommen die Spenden, Geld und Lebensmittel oder logistische Hilfe wie das Shuttle zum Obdachlosenheim am Lerchensteig. Unter den Helfern sind viele aus der Gemeinde, auch Konfirmanden, und manche kommen am ersten Tag als Besucher – und fragen am zweiten Tag, wo sie helfen können. „Dann kriegen sie eine Schürze und eine Aufgabe“, sagt Ariane Zibell vom Orga-Team.
Etwa 20 Frauen und Männer kümmern sich allein um die Kleiderkammer. Weil der Ansturm hier immer groß ist, muss das gut organisiert sei. Es werden Wartemarken ausgegeben, damit man die Kunden besser einzeln betreuen kann. Vor allem Wintersachen und Schuhe, aber auch Bettwäsche und Handtücher und Spielzeug sind gefragt. Manchem ist das dennoch peinlich. Sie habe einiges Schönes gefunden, sagt eine Dame, und ein Teenager freut sich, als er neue Boxershorts in seiner Größe entdeckt. Ein Mann aus der Ukraine lässt sich derweil die Haare schneiden, Friseur Karl-Heinz Skuldlarek, lange Rentner, hat gleich erkannt, wie er es gern hätte: „Überall bisschen weg“, dann legt er los.
Inzwischen haben sich drei Männer zu dem Damenkränzchen gesetzt, aber nach Schwatzen ist ihnen weniger. Sie hängen ihren Gedanken nach. Schon am Freitag waren sie da – die Nikolaikirche ist ein Ort zum Wiederkommen. Steffi Pyanoe
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