Von Jan Brunzlow: Ein Oskar für die Waldstadt
Seit einer Woche sind Carolin Sommerfeld undBastian Fenger Eltern. Wo sie einst aufgewachsen sind, soll nun auch Oskar groß werden. Ein Tag mit der jungen Familie in der Waldstadt.
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Seit einer Woche ist alles anders. Oskars Uhr bestimmt den Tagesablauf. Seine innere Uhr. Er legt beispielsweise fest, wann Mama und Papa schlafen dürfen und wann es Essen gibt. Alles dreht sich momentan um ihn, er ist der neue Mittelpunkt im Leben von Carolin Sommerfeld und Bastian Fenger. Oskar ist ein Wunschkind, sieben Tage alt und dick eingemummelt. Er liegt in seiner Babyschale, die Bastian Fenger in seinem Kleinbus festschnallt. Bereit zu einem Vormittag bei den Behörden. Damit alle wissen, dass Oskar Lennox Rae nun da ist. Einige Tage früher als erwartet, aber gesund und putzmunter.
Oskar schläft, als seine Eltern offiziell die Bestätigung für seinen Namen erhalten. Die Geburtsurkunde gibt es in Zimmer 006 des Stadthauses. Zwei Mitarbeiterinnen sind im Raum, eine davon – wie sollte es anders sein – ist schwanger. Es dauert alles nur einige Minuten, dann ist es amtlich. Beide haben das Sorgerecht, der Sohn hat den Nachnamen des Vaters und die Belege für die weiteren Anträge auf Elterngeld, Mutterschaftsgeld und Kindergeld sind ausgedruckt. Dazu noch einen Begrüßungsumschlag für den Neupotsdamer und ein freundliches „Alles Gute und viel Freude“ von Nicole Sternberg, Mitarbeiterin des Standesamtes. Ob sie die beiden womöglich bald wiedersieht? Eine Etage höher und festlich gekleidet? Später am Tag wird Bastian Fenger sagen,Caro sei die Frau seines Lebens und er hoffe, sie heiratet ihn eines Tages.
Nächste Station Jugendamt. „Ich wollte gerade Essen gehen“, sagt die Mitarbeiterin, doch sie ändert ihren Plan. Das Elterngeld wird beantragt, Vater Bastian bleibt mit Oskar draußen. Will er nicht in Elternzeit? „Das würde finanziell sehr schwierig“, sagt der 34-Jährige. Er arbeitet als Sportlehrer an der Waldorfschule und hat ein geregeltes Einkommen, seine Lebensgefährtin Carolin ist Studentin. Nicht einmal Mutterschaftsgeld wird sie erhalten, sagt der Vater. Denn sie habe wegen der Schwangerschaft schon frühzeitig ihren Job ruhen lassen und deswegen zuletzt nichts mehr verdient. „Wir haben uns inzwischen darauf eingestellt, aber ärgerlich ist es schon“, so der Vater, der im städtischen Bürgerservice noch alles zur Steuerklassenänderung und Kinderfreibeträgen erfragt. Danach ist erledigt, was erledigt werden sollte. Es geht nach Hause.
Oskar schläft immer noch. Im Kleinbus ist daher Zeit zum Plaudern. Sie erzählen von der Geburt und den Stunden davor. Im Linienbus hat Fenger gestanden, als seine Caro ihn anrief. Die Fruchtblase war geplatzt, nach neun Monaten war es nun Zeit für den finalen Weg. Fenger war mit seinen Schülern auf einem Ausflug, doch der endete nach dem Anruf abrupt in Stahnsdorf. Alle mussten mit zurück, die Schüler in die Schule, der werdende Papa nach Hause. Einen Geburtsvorbereitungskurs, den sogenannten Hechelkurs, haben beide absolviert, nun sollte es praktisch werden. Die jungen Eltern sind heute noch begeistert von ihrer Hebamme Claudia Zeiske und erzählen von Baby Nummer 553 im Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ in diesem Jahr. Ihrem Baby, geboren am 25. März. Die Schwestern haben gesagt, es gibt erneut mehr Kinder als im Vorjahr, erzählt Carolin Sommerfeld. Potsdam boomt also weiter, auch in der Waldstadt. „Hier gibt es viele Kinder“, sagt Bastian Fenger. In ihrem Hausaufgang in der Johannes-R.-Becher-Straße gibt es mehrere junge Familien. Es scheint ein Wandel eingesetzt zu haben in der Waldstadt I – wo die Bevölkerung statistisch gesehen am ältesten in Potsdam ist. Zwischen den Blocks aus den 1950er und 1960er Jahren sind Spielplätze angelegt, im Sommer ist der Stadtteil ein Wald mit einigen Häusern.
Oskar schläft, Zeit für einen Spaziergang. Es wird ein Weg durch die Vergangenheit der beiden. Gemütlichkeit beherrscht das Treiben rund um ihr Wohnhaus. In der Nachbarstraße bepflanzt eine Frau den Vorgarten mit Frühlingsblühern, einige Meter weiter packt eine Marktfrau ihre nicht verkauften Sachen ein, auf der anderen Straßenseite setzen Arbeiter auf der Baustelle für eine neue Kindertagesstätte Stein auf Stein. „Wir hoffen, dass Oskar hier angenommen wird“, sagt Carolin Sommerfeld. In einem Jahr soll der Neubau der Arbeiterwohlfahrt neben der Waldstadt-Grundschule stehen, der Bedarf ist groß. Oskars wird daher bereits jetzt angemeldet.
Die Waldstadt ist ein Ort, mit dem die jungen Eltern ihre eigenen Erinnerungen verbinden. Beide sind sie hier aufgewachsen. Fenger nur einige Meter von ihrer gemeinsamen Wohnung entfernt, Carolin Sommerfeld auf der anderen Seite der vierspurigen, stadtteiltrennenden Magistrale Heinrich-Mann-Allee, in der Waldstadt II. Ihre Erinnerungen decken sich, auch wenn sie sich von früher nicht kennen. Zu groß ist der Altersunterschied. Als er sein Abitur abgelegt hat, besuchte die 23-Jährige die Grundschule. Ihre Klassenlehrerin hat zehn Jahr vorher versucht, ihm Russisch beizubringen. Beide erinnern sich auch an den alten Zirkuswagen, der seit einigen Tagen wieder in der Straße steht und aus dem Eis verkauft wird. Dort sind sie schon als Kind hingerannt und haben ihr Eis gekauft, in einigen Monaten werden sie ihrem Kind dort ein Softeis kaufen.
Oskar schläft zwar noch, aber es wird langsam Zeit für die nächste Mahlzeit. Sie gehen nach Hause. Fünf Etagen wird der Nachwuchs hochgetragen, in die Dachgeschosswohnung. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. Irgendwann wird es mit Oskar schwerer und die 60 Quadratmeter auch zu klein. Drei Jahre wollen sie noch hierbleiben, sagt die Mama, dann wird es wohl eine neue Wohnung. Bis dahin will sie auch mit ihrem Studium fertig sein, das sie in einigen Wochen fortsetzen will. Die Auszeit soll nicht lang werden, denn sie studiert an der Uni Potsdam Sportwissenschaft. Begonnen hat sie im letzten Jahrgang vor der Umstellung auf den internationalen Bachelor und Master, sie kann noch einen Diplomabschluss erhalten. Sie habe alles geklärt, sagt Caro Sommerfeld. Und wenn doch mal jemand auf Oskar aufpassen muss, könne er auch mal zu Papa an die Schule oder die Großeltern passen auf ihren ersten Enkel auf. „Ohne unsere Eltern wäre alles viel schwerer“, sagen beide. Die Eltern haben während der Schwangerschaft zu ihnen gestanden und sind auch jetzt an der Seite des Paares. „Das ist nicht überall so“, sagt Vater Bastian. Beide sind glücklich darüber.
Oskar ist wach. Eine neue Windel angezogen, danach gibt es die Brust. Mamazeit, auch um anschließend etwas zu dösen und sich einige Minuten auszuruhen. Die Nächte sind anders als früher, kürzer. Doch sie nimmt es gelassen, ihr Mann bewundert sie dafür. „Sie ist eine tolle Mutter“, sagt er. Kennen gelernt haben sie sich übrigens beim Sport. Beide waren Leichtathleten und an der Sportschule Potsdam, beide waren beim SC Potsdam. Er, SCP-Gründungsmitglied, als Übungsleiter, sie Nachwuchssportlerin in seiner Trainingsgruppe. Gefunkt hat es erst Jahre später, seit Dezember 2006 sind sie ein Paar. Seit einer Woche eine Familie.
In der Waldstadt wohnen sie gerne, obwohl nicht alles stimmt. Mehr Basketballplätze hätte der junge Vater und Basketballtrainer beim USV Potsdam gerne, ebenso eine schönere Cafékultur. Wohl fühlen sie sich dennoch: „Wir wollen hier nicht weg. Wir sind Waldstadt-Kinder.“ Das jüngste ist inzwischen wieder eingeschlafen.
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