
© Andreas Klaer
Von Jana Haase: Ein Potsdamer Frauenleben
Sie war Schaffnerin, Elektromonteurin und Stenotypistin: Man muss weiterkommen wollen, sagt Renate Jungmann
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Sie hat schon mit zehn Jahren im Laden ihrer Mutter geholfen, füllte den Sauerkohl mit der Holzgabel in Pergamenttüten, fuhr nach der Schule mit dem Anhänger am Fahrrad nach Butter und anderen Waren, weil das Benzin so knapp war, dass die Lieferanten ihre Autos stehen lassen mussten. 15 Jahre alt war Renate Jungmann, da wurden das Geschäft und die Wohnung der Jungmanns in der Saarmunder Straße, der heutigen Heinrich-Mann-Allee, ausgebombt. An die bangen Stunden im verschütteten Keller erinnert sich die 81-Jährige immer noch lebhaft. Wie die Mutter mit den bloßen Händen versuchte, eine Luftzufuhr freizugraben. Wie Schüler der Kadettenschule auf dem Brauhausberg, dem heutigen Landtag, den Keller schließlich freischaufelten: „Das waren 14-Jährige.“ Einer Nachbarin mussten sie den Arm absägen, um sie aus den Trümmern zu retten. Im anderen Nachbarhaus waren drei Menschen verbrannt.
Wenn Renate Jungmann aus ihrem Leben erzählt, dann ist es eine Geschichte mit vielen Neuanfängen. Die Bombennacht am 14. April 1945 war der vielleicht radikalste. Das, was den Jungmanns – Renate ist das älteste von fünf Geschwistern – geblieben ist, passte auf einen Handwagen. Mit dem zog die Familie in eine enge Kellerwohnung in der Mauerstraße. „Wir haben eben weitergemacht“, sagt die gebürtige Potsdamerin, die vor 24 Jahren auch eine Krebserkrankung überlebte.
Am heutigen Dienstag ist sie anlässlich des 100. Internationalen Frauentags zu Gast beim Brunch des Frauenzentrums ab 10 Uhr in der Zeppelinstraße 189 und berichtet aus ihrem Leben. Nur wenige Schritte sind es von ihrer Wohnung in der Schopenhauerstraße ins Frauenzentrum – gerade so weit, wie es die 81-Jährige nach einer Operation vor wenigen Wochen wieder schafft. „Ich will selbstständig bleiben“, sagt sie. Der Kampf um das eigene Auskommen, eine Existenz auf eigenen Füßen, ist ein Leitmotiv in diesem Potsdamer Frauenleben. Heute gehört dazu auch der tägliche Spaziergang. Als Frauenrechtlerin würde Renate Jungmann sich nie bezeichnen. Und doch hat sie vieles von dem, was Frauenrechtler forderten und fordern, gelebt. Sie arbeitete jahrelang in einem Männerberuf, kletterte als Hochspannungsmonteurin in Gittermasten, beschied später im Büro der städtischen Energieversorgung die Bauanträge der Elektroinstallateure. Viel Aufhebens macht sie darum nicht.
Renate Jungmann lacht, wenn man sie darauf anspricht. „Die Frauen sollen es sich nicht zu bequem machen“, sagt sie zu den Forderungen nach mehr Gleichberechtigung, die heute wieder Konjunktur haben werden. Die Frauentagsfeiern, die Jungmann seit dem 1950er Jahren bei der Energieversorgung mitorganisierte, hatten mit den heutigen ohnehin nicht viel gemein: „Es war für uns wichtig, einfach mal zusammenzusein und zu feiern, es gab Kaffee, Abendbrot, Musik“, erzählt sie. Dass der Parteisekretär dabei auch erfolgreiche Mitarbeiterinnen mit Medaillen auszeichnete – man habe es eben hingenommen. „Die sollten uns in Ruhe lassen“, sagt Renate Jungmann. Um politische Forderungen sei es damals erst recht nicht gegangen: „Wir waren ja gleichberechtigt, haben denselben Lohn bekommen wie Männer.“
Mit 1,50 Mark pro Stunde hat Renate Jungmann 1950 angefangen – als Schaffnerin bei der Potsdamer Straßenbahn. Bei Wind und Wetter stand sie auf dem Triebwagen, im Winter mit Vaters Unterhosen zum Wärmen. Bis ihr ein Fahrer eines Tages bei einem Rangierunfall das Koppeleisen gegen die Beine rammte.
Alles auf Anfang, wieder einmal. Renate Jungmann lernte Steno und Schreibmaschine und bekam eine Stelle an der „Akademie für Staat und Recht“ am Griebnitzsee. Doch bald wurden ihr die Vorschriften zu viel: „Wir durften nicht nach Westberlin.“ 1955 wechselte sie zur Energieversorgung. Nach Weiterbildungen zur Industriekauffrau, Hochspannungsmonteurin und Ökonomischen Ingenieurin kletterte sie auf der Karriereleiter.
Nur an einem Tag im Jahr, da konnte sie nie arbeiten: Am 14. April, Jahrestag der Bombennacht. „Die Erinnerungen kamen immer wieder hoch“, sagt Renate Jungmann. Auch, dass die DDR-Oberen das Potsdamer Stadtschloss später sprengen lassen, nimmt sie mit: „Es freut mich, dass es jetzt wieder aufgebaut wird.“
Die Distanz zum DDR-System hatte Jungmann sich bewahrt. Als sich einer ihrer Nachbarn, ein Spitzel der Staatssicherheit, in ein Telefongespräch mit ihrer nach Westdeutschland gezogenen Schwester schaltete und zum Auflegen aufforderte, fertigte sie ihn ab: „Machen Sie, dass Sie aus der Leitung kommen!“ Fast wäre Jungmann selbst in den Westen gegangen – sie ist um der Eltern willen geblieben.
Dass sie selbst nie eine Familie gegründet hat, bedauert die 81-Jährige nicht. Sie pflegt heute noch den Kontakt zu Schulfreunden, spielte Handball bei Turbine Potsdam, war jahrelang in der „Frauenselbsthilfe nach Krebs“ aktiv: „Ich bin nicht alleine“, sagt sie. Ihr Tipp an die jungen Potsdamerinnen von heute: „Man muss weiterkommen wollen! Wenn Frauen die Zeit dazu haben, dann sollten sie das nutzen und weiterlernen.“
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