
© M. Thomas
Landeshauptstadt: Ein Ritt mit der „Hoppetosse“ Behinderte auf Spritztour über den Tiefen See
„3 2 1!“, zählt Jörg Leonhardt zusammen mit seinen neun Passagieren den Countdown herunter - der Außenbordmotor heult auf, die Fahrgäste krallen sich in ihre Sitze und eine Sekunde später pflügt das schnittige Rennboot mit 80 Stundenkilometern eine tiefe Schneise durch den Jungfernsee.
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„3 2 1!“, zählt Jörg Leonhardt zusammen mit seinen neun Passagieren den Countdown herunter - der Außenbordmotor heult auf, die Fahrgäste krallen sich in ihre Sitze und eine Sekunde später pflügt das schnittige Rennboot mit 80 Stundenkilometern eine tiefe Schneise durch den Jungfernsee. Eine außergewöhnliche Erfahrung für Leonhardts geistig und körperlich behinderten Mitfahrer. Mit seinem Verein „Wings for handicapped“, der seit 2004 bundesweit Sportaktivitäten für Menschen mit Behinderungen anbietet, hat er sie an Bord geholt. Insgesamt 300 Gäste legen mit ihm am Dienstag und am Mittwoch an der Marina am Tiefen See ab.
Leonhardt sitzt selbst seit dem 18. Lebensjahr im Rollstuhl. „Manche sagen vor dem Einsteigen: ‚Fahr nicht so schnell', aber wenn sie erst mal fahren, heißt es oft: ‚Jetzt gibt doch mal Gummi!'“, sagt der 48-jährige Vereinsvorsitzende. Melanie Kühne hat keine Angst: Die mehrfachbehinderte Potsdamerin ist schon zum dritten Mal mit dabei auf der „Hoppetosse“ – der Name ist an das Piratenschiff aus „Pippi Langstrumpf“ angelehnt– und bereits aufgeregt: „Ich mag die Schnelligkeit!“, sagt die 34-Jährige. Mitarbeiter der Marina am Tiefen See helfen ihr in den Sitz schräg hinter dem Stuhl des Kapitäns.
„Ich bekomme immer wieder Dankesbriefe, Zeichnungen oder Fotos“, sagt Andrea Burchardi, Betreiberin der Marina am Tiefen See. Sie stellt die Anlegestelle zur Verfügung und kümmert sich um die Sondergenehmigung fürs Schnellfahren, denn normalerweise dürfen dort 25 km/h nicht überschritten werden.
Marina Kanisch vom Oberlinhaus fährt selbst als Betreuerin im Boot mit. „Das ist eine ganz andere Körperwahrnehmung“, sagt sie begeistert. Auf dem Weg durch die Stadt konnte sich die Gruppe nicht so frei bewegen: „Wir mussten erst lange auf die Niederflur-Straßenbahn warten.“ Auch Busse seien problematisch, da dort nur für zwei Rollstühle Platz sei.
„Beim Thema Barriere-Freiheit gibt es viele Baustellen in Potsdam“, bestätigt Potsdams Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth-Koschnick bei der Eröffnung der Veranstaltung am Dienstag. Als Beispiele nannte sie Kopfsteinpflaster oder schlecht beleuchtete öffentliche Gebäude. Die Bootsfahrt ist dagegen ein gutes Kontrastprogramm, das vielen neues Selbstvertrauen gibt. "“Einmal fuhr ein Junge bei mir mit, der zuerst gar nicht wollte“, erzählt der Kapitän, „aber als er ausstieg und wieder in den Rollstuhl musste, sagte er zu seiner Mutter: ‚Die Gurte brauche ich nicht, ich bin gerade mit der Hoppetosse gefahren!'“ Erik Wenk
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