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HEYES Woche: Ein Schultest und die soziale Spaltung

Sommerferien 2010. Große Pause.

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Sommerferien 2010. Große Pause. Denken wir trotzdem über Schule nach. Ich erinnere mich noch gut, wie mich mein Französischlehrer niedermachte: „Heye, setzen – Fünf!“ Lang ist es her. Meine Familie war in die damalige französische Besatzungszone umgezogen, und ich sollte drei Jahre Französisch nachholen, was mir nicht gelang. „Setzen, Fünf!“ hieß es auch für das Land Brandenburg im bundesweiten Schultest für Neuntklässler. Da ist einiges nachzuholen. Spitzenreiter sind einmal mehr Bayern und Baden-Württemberg. Ein Ergebnis war noch wichtiger: Die soziale Spaltung beginnt in der Schule. Denn Kinder aus Arbeiterfamilien mit gleichen schulischen Voraussetzungen haben in Bayern und Baden-Württemberg bis zu neun Mal geringere Chancen, das Gymnasium zu erreichen, als Kinder aus Akademikerfamilien. Bundesweit steht es Fünf zu Eins. Bayern bringt, gemessen an seiner Einwohnerzahl, die geringste Quote an Abiturienten hervor und hat dennoch zu wenig Studienplätze. Für Exzellenz-Universitäten werden fünfstellige Euro-Beträge ausgelobt. In den Schulen dagegen fehlt es an allen Ecken und Enden. Dass Kinder nicht ordentlich lesen und schreiben können, daran hat sich seit Pisa in zehn Jahren nichts geändert. Das gilt für diejenigen mit deutschen Wurzeln ebenso wie für die aus Einwandererfamilien. Jedes Jahr verlassen zwischen 60 000 und 80 000 Jugendliche die Hauptschulen ohne einen Abschluss und verstärken das Heer der Arbeitslosen.

Was der Test nicht würdigt: Berlin und Brandenburg sind vorn, wenn es darum geht, das Schulsystem für Kinder mit Migrationshintergrund zu öffnen. Mittlerweile machen hier mehr Einwandererkinder das Abitur als deutschstämmige Mitschüler. Brandenburgs ansonsten schlechtes Abschneiden bei den Leistungen hat auch mit der anhaltenden ökonomisch bedingten Ost-West-Wanderung zu tun. Aus vielen ländlichen Regionen ist das bildungsnahe Milieu ausgewandert. Sie sind den Jobs nachgezogen. Und wo es zu wenig Schüler gibt, müssen Schulen schließen. Meist mit katastrophalen Folgen für die kulturelle und demokratische Selbstbehauptung in vielen Gemeinden. Dieser Schultest bildet eine Schullandschaft ab, deren Reform im föderalen System vor sich hin kümmert. Das Ergebnis ist moralisch und wirtschaftlich eine Katastrophe. Eine Schulreform, die ein gerechteres, alle Begabungen berücksichtigendes Bildungssystem will, hat kürzlich in Hamburg keine Mehrheit gefunden. An der Notwendigkeit einer Reform unseres Bildungssystems ändert das allerdings nichts.

Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.

Uwe-Karsten Heye

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