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Landeshauptstadt: Ein stolzer Bürger

Christian Wendland hätte gern Neues gebaut. Doch dafür war das alte Potsdam zu gefährdet. Heute wird er 70

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Er konnte gar nichts dafür. Wer kann sich den Vater schon aussuchen? Sein Vater war Kirchenarchitekt, ein Intellektueller. Somit war Christian Wendland kein Arbeitersohn, sondern „eine Intelligenz-Bestie“ und durfte nicht zur Oberschule. Da die Mauer noch nicht stand, konnte er in Westberlin aufs Gymnasium gehen. Später studierte Wendland, der seit Januar 1949 in Potsdam wohnte, an der Technischen Universität Architektur. Täglich fuhr er mit der S-Bahn nach Berlin. Er pendelte zwischen zwei Welten. In der einen waren die Menschen stolz, Bürger von Berlin zu sein. Was Kennedy 1963 nicht zufällig sagen ließ: „Ich bin ein Berliner“. In der anderen Welt war Bürger ein Klassenkampfbegriff zur Bezeichnung einer reaktionären Herkunft. In der einen Welt konnte jeder Mensch böse Leserbriefe schreiben wie er wollte, in der anderen konnte er dafür im Gefängnis landen.

So wie Christian Wendland. Als er im September 1961 sein Potsdamer Zimmer betrat, sah es aus wie „eine Würfelbude“. Es war durchsucht worden und was die Stasi gefunden hatte, war ein Brief, der eigentlich in die andere Welt gehörte. Die Westberliner Zeitschrift „Funkuhr“ hatte einen Artikel über die Berliner Garnisonkirche mit einem Foto der Potsdamer Garnisonkirche illustriert, eine Verwechslung. Also schrieb Wendland einen Leserbrief, den er heute selbst als etwas „überzogen“ bezeichnet. Er galt der Stasi als Beweis, dass „ich ein ganz schlimmer Mensch bin“. Wendland wollte darüber aufklären, wie frevelhaft „die russischen Banditen deutscher Herkunft“ mit dem Bauerbe umgehen.

Er kam zunächst in das Stasi-Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße 54, „das Hotel ohne Klinken“. Zwei Jahre Haft, so lautete das Urteil nach dem Schauprozess. In Magdeburg verrichtete er unter Bedingungen der Missachtung jeden Arbeitsschutzes „Zwangsarbeit“ in einem Maschinenbau-Betrieb, nach 444 Tagen ist er wieder frei. Wendland war Mitglied der evangelischen Studenten-Gemeinde, er darf zunächst bei der Kirche arbeiten. Dann ließ ihn der Staat an der TU Dresden zu Ende studieren. Er sah in ihm einen Architekten, den die DDR dank des Westberliner Vordiploms „zum halben Preis“ bekommt. Freilich muss er vorher noch einige Scheine in „Gewi“ – Gesellschaftswissenschaften – nachholen.

Später, nach vierjährigen Anstellung bei der Kirche, ging Wendland zum Volkseigenen Betrieb (VEB) Gebäudewirtschaft, was für ihn den Vorteil hatte, nichts mit dem DDR-Plattenbau zu tun haben zu müssen. Damals, im Jahr 1972, begannen die Vorbereitungen für einen Flächenabriss des Holländischen Viertels in Potsdam. Wendland war schon damit beschäftigt, die Einwohner des historischen Viertels zu zählen, um den Entschädigungsaufwand zu ermitteln. Doch die DDR wollte in die Unesco und das ging nicht ohne Denkmalschutzgesetz. Nun sollte in einem „Pilotprojekt“ die Möglichkeiten einer Sanierung des Holländischen Viertels erkundet werden. Versuchskaninchen waren die Häuser Mittelstraße 42 und 43; Christian Wendland ging die Aufgabe mit Eifer an. Und das in einer Welt der „Tonnen-Ideologie“, in der hohe Arbeitsproduktivität und Planerfüllung nicht bedeutet, liebe- und mühevoll alte Baumaterialien aufzuarbeiten, sondern soviel wie möglich neues Material zu verwendet. Lange musste er reden, bis ein 200 Jahre altes Treppenhaus nicht deshalb rausgerissen wird, nur weil fünf Sprossen fehlen, die nachgedreht werden könnten. Nach Feierabend fertigt Wendland viele Detailzeichnungen für die Baubetriebe an. Als die beiden Häuser fertig sind, nach einer Sanierung, die Wendland nach heutigen Maßstäben als „glimpflich“ bezeichnet, geschieht das Wunder: Die beiden Häuser gefallen der DDR-Obrigkeit, das Holländische Viertel darf stehen bleiben. Bis zur Wende 1989 hilft Wendland mit, dass etwa 20 Prozent der historischen Gebäude saniert werden. Aber es bleibt „ein Häuserkampf um jedes einzelne Objekt“. Schmerzlich erinnert er sich an „die Liquidierung“ zweier Holländer-Häuser an der Französischen Kirche. Freischaffend arbeitet Wendland nach 1989 im Bereich „Planen und Bauen im Architektur-Bestand“. Ein Leben im Westen hätte er sicher mit Neubauten verbracht, was ihm auch gefallen hätte. Doch er sagt: „Aber ich war eben hier hergestellt und habe die Aufgabe angenommen.“

Heute wird Christian Wendland 70 Jahre alt. Ein Unbequemer ist er noch immer, das wissen alle, die das Potsdamer Stadtschloss nur ein bisschen original wiederhaben wollen. Man sollte Knobelsdorff richtig zitieren, sagt er: „Ich zitiere Goethes Faust ja auch wortgetreu.“

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