Jahresrückblick 2015: Ein Tag, der Potsdam für immer verändert
Das Schicksal von Elias, der Zustrom an Flüchtlingen und Baudezernent Klipp: Die drei beherrschenden Themen in Potsdam 2015.
Stand:
Der Fall Elias. Es ist ein Tag, der Potsdam für immer verändert: Am 8. Juli verschwindet der sechsjährige Elias spurlos von einem Spielplatz im Inselhof am Schlaatz. Eine Welle der Solidarität erfasst den Stadtteil, Hunderte freiwillige Helfer beteiligen sich an der Suche nach dem Jungen – was auch Kritik auslöst, weil die Aktionen unkoordiniert verlaufen und vor Ort teils chaotische Zustände herrschen. Die Polizei durchkämmt den Schlaatz mit einem Großaufgebot, setzt Spürhunde und Wärmebildkameras ein, selbst die Nuthe wird tagelang abgesucht. Aus der Bevölkerung gehen Hunderte Hinweise ein – eine heiße Spur gibt es nicht. Eine Privatperson setzt eine Belohnung von 50 000 Euro für Hinweise aus. Dennoch schwindet die Hoffnung, Elias noch lebend zu finden, von Woche zu Woche. Die Behörden gehen von einem Verbrechen aus. Polizeistabsleiter Michael Scharf zieht Kritik auf sich, weil er öffentlich verkündet, dass er glaube, der Junge sei tot. Als kaum noch jemand an eine Klärung glaubt, ist es ein anderes Verbrechen, das die Polizei auf die Spur des Täters bringt. Im Zuge der Suche nach dem vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed, der am 1. Oktober vor dem für Flüchtlinge zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin verschwand, werden Fahndungsbilder eines jungen Mannes veröffentlicht – die Mutter erkennt ihren Sohn darauf wieder und zeigt ihn Ende Oktober an. Der 32-jährige Silvio S. gesteht nicht nur den Mord an Mohamed, den er zuvor sexuell missbraucht hatte, sondern führt die Behörden auch zur Leiche von Elias, die er auf einem Grundstück bei Luckenwalde vergraben hatte. In Potsdam herrschen Trauer und Entsetzen. Am Schlaatz halten Hunderte Potsdamer eine Mahnwache ab, die Stadt richtet eine zentrale Gedenkveranstaltung aus. „Potsdam steht in Trauer vereint“, sagt Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Silvio S. sitzt derzeit in Brandenburg/Havel in Untersuchungshaft. Wann ihm der Prozess gemacht wird, steht noch nicht fest.
Thema Flüchtlinge. Fast 30 zumeist besonnen verlaufene Anwohnerversammlungen mit Tausenden Potsdamern, eine Welle der Solidarität mit den Neuankömmlingen und viele Willkommensfeste – Brandenburgs Landeshauptstadt meistert den anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen in diesem Jahr mit Bravour. Bis zum Jahresende muss Potsdam rund 2250 Asylsuchende aufnehmen, für 2016 rechnet die Stadt wieder mit der gleichen Größenordnung. Im Gegensatz zu anderen Kommunen in der Republik schafft es Potsdam dabei trotz anhaltender Wohnungsnot sogar, auf die Umwidmung von Turnhallen in Flüchtlingsquartiere zu verzichten. Dabei steigen die Flüchtlingszahlen ab dem Sommer fast wöchentlich und die Quartierssuche wird zunehmend schwieriger, zeitweise sind sogar die Tropenhalle Biosphäre und die Fachhochschule am Alten Markt als Flüchtlingsunterkünfte im Gespräch. Im September richtet das Land auf dem ehemaligen Gelände des Sozialministeriums in der Heinrich-Mann-Allee eine weitere Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge ein. Das linke Jugendkulturzentrum „Freiland“ sorgt zeitweise für Wirbel, weil die Betreiber eine nebenan geplante Flüchtlingsunterkunft in Leichtbauhallen aus „humanitären Gründen“ zunächst ablehnen. Auch in Drewitz kochen die Emotionen bei einer Anwohnerversammlung hoch. In Babelsberg strömen mehr als 1000 Menschen in die Metropolishalle, um sich über die auf der Sandscholle geplante Flüchtlingsunterkunft zu informieren. Hunderte begrüßen die Neuankömmlinge dort vor Weihnachten mit einem Willkommensfest. Noch vor den Feiertagen ziehen auch die ersten Flüchtlinge in den „Kreml“ auf dem Brauhausberg, Potsdams bislang größte Sammelunterkunft mit Platz für nahezu 500 Asylsuchende. Die Stadt hat das früheren Landtagsgebäude für einen Millionenbetrag von den neuen Eigentümern, einem Berliner Konsortium, gemietet. Um die finanziellen Belastungen zu schultern, muss die Stadt einen Nachtragshaushalt auf den Weg bringen. Doch trotz aller Querelen macht Potsdam seiner Tradition als Stadt der Toleranz alle Ehre: Unzählige Ehrenamtler engagieren sich und helfen Flüchtlingen bei der Integration. Es werden Bündnisse für Arbeit geschmiedet und ein Internet-Hilfsportal aus Potsdam macht sogar länderübergreifend von sich reden: HelpTo ist inzwischen nicht nur in fast allen Landkreisen Brandenburgs vertreten, sondern auch in Berlin erfolgreich am Start.
Klipps Abgang. Er war angetreten, um die Bauverwaltung bürgerfreundlicher zu machen und wollte jedwedem Missbrauch von Amtsgewalt in seinem Ressort einen Riegel vorschieben – am Ende stürzte Matthias Klipp (Grüne), weil er seine eigenen Vorsätze gebrochen hatte. Im Sommer gerät Potsdams streitbarer Baudezernent erstmals in die Schlagzeilen. Er soll sein privates Wohnhaus neun Quadratmeter größer gebaut haben, als es der Bebauungsplan erlaubt. Der Bündnisgrüne selbst weist die Vorwürfe zurück, verstrickt sich dabei aber immer mehr in Widersprüche. Eine eidesstattliche Versicherung, mit deren Hilfe er gegen die Berichterstattung der Bild-Zeitung vorgeht, enthält widersprüchliche Angaben, die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf. Aus den Reihen der Stadtpolitik wächst der Druck: Auf Bitten des Stadtparlaments nimmt die Oberste Bauaufsicht des Landes die Bauakte Klipps unter die Lupe. Aus dem Urlaub heraus sorgt Klipp erneut für Kopfschütteln, als er per SMS einen PNN-Journalisten verdächtigt, Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Rathausintern ermittelt inzwischen bereits eine Soko gegen den Baubeigeordneten. Das Ergebnis der Prüfer ist niederschmetternd: Klipp hat entgegen aller Behauptungen direkt auf das Genehmigungsverfahren für seinen Hausbau Einfluss genommen und seine Mitarbeiter unter Druck gesetzt. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) suspendiert den Dezernenten am 31. August, stellt einen Abwahlantrag und leitet ein Disziplinarverfahren ein. Er sei von Klipp bewusst getäuscht worden, das Vertrauensverhältnis sei zerstört, sagt der Rathauschef. Auch in der Stadtpolitik verliert Klipp jeglichen Rückhalt: Am 4. November wird er als Baudezernent abgewählt – Gegenstimmen gibt es keine.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: