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Steffi Pyanoe.

© A. Klaer

PYAnissimo: Ein Thermomix fürs Rathaus

Muss ich noch was zum Leitbild schreiben? Diese peinliche Postwurfsendung, nicht viel dicker als ein Jungpionierstatut?

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Muss ich noch was zum Leitbild schreiben? Diese peinliche Postwurfsendung, nicht viel dicker als ein Jungpionierstatut? Nein, dachte ich, lassen wir das, legen wir uns das Brevier einfach unters Kopfkissen, vielleicht hilft es ja, und wenn jemand nachts ein Taschentuch sucht (wegen Grippewelle) und aus Versehen da hinein schneuzt, dann hat es ja immerhin zu etwas genützt. Aber für 300 000 Euro, die das Pamphlet offiziell gekostet hat, bekäme man eine ganze Menge Taschentücher Ich fürchte, ich bin über das Leitbildfiasko noch nicht hinweg.

Was hatten wir uns auf das tolle Ding gefreut! Endlich hätte man eine Art Grundgesetz für unsere schöne Stadt, Leitbild statt leidvoller Diskussionen in Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Fraktionen. Ein Schlaraffenland voller Handlungsanweisungen für Entscheidungsphobiker, losgelöst von Befindlichkeiten ewig verschnupfter Kommunalpolitiker, die dem anderen die Butter aufs Brot nicht gönnen. Nie mehr abwägen oder gar denken müssen, nur noch ein Schlagwort eingeben und dann auf Seite XY das Ergebnis ablesen. Ein Thermomix für Stadtplaner: Oben gibt man Daten ein, unten kommt die Handlungsanweisung raus. Mehr Kinder werden geboren? Ah, mehr Kitas bauen und am besten auch gleich mehr Schulen, sagt das Orakel. So einfach wäre es. Jetzt aber muss man mühsam nachlesen: „Potsdam bekennt sich zum Wachstum der Stadt“ steht auf Seite 7. „Ach was“, möchte man im Tonfall von Loriot dazu sagen.

Aber ich bin wohl einem grundsätzlichen Irrtum aufgesessen. Ich dachte tatsächlich die ganze Zeit, also all die vergangenen Jahre, in denen wir den mühevollen, kräftezehrenden, bürgerbeteiligten Prozess medial und wohlwollend begleiteten, dass es darum ginge, Visionen und Ziele zu entwickeln und festzuhalten: Da wollen wir hin! Nun aber ist alles im schönsten Präsens gehalten. Das Leitbild ist ein Schnappschuss, ein langsam verbleichendes Polaroid, das den Status quo beschreibt. Nett hamses hier, hätte man auch schreiben können.

Na wenigstens haben wir 300 000 Euro auch in Potsdamer Unternehmen gepumpt, das ist doch was, ein kleines Konjunkturpaket für die lokale Wirtschaft. Die Agenturen, Medienspezialisten und Tagungsdurchführungsexperten bekamen die outgesourcten Jobs, um die sich kein Stadtverordneter und Verwaltungsmitarbeiter reißt. Früher schnappten die Bürgervertreter die Bürgermeinung am Stammtisch, in der Bürgersprechstunde – ja, sowas soll es geben – oder gar beim Politfrühschoppen auf. Das war manchmal ein bissl mühsam, aber es war die Königsdisziplin in der Kommunalpolitik. Man war ja nicht zum Spaß gewählt worden.

Na immerhin hat die Stadt keine fette Hochglanzbroschüre drucken lassen, sondern die umweltfreundliche Sparvariante gewählt, samt einer Haptik, die das Heftchen schön griffig macht. Auch drinnen wäre es gut und gerne noch sparsamer gegangen. Leben und leben lassen. Damit wäre alles gesagt gewesen.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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