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Landeshauptstadt: Ein viertel Laib Brot und vier Schnäpse

Die Zeit der französischen Besatzung brachte nicht nur Nachteile für die Entwicklung der Stadt

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Das französische Quartier zwischen Platz der Einheit und Französischer Straße war nicht das wirkliche Zentrum der Potsdamer Franzosen. Diese Behauptung der Historikerin und Doktorandin, Silke Kamp, überraschte am Mittwochabend. Angesiedelt werden sollten die Glaubensflüchtlinge eigentlich im Gebiet zwischen Wilhelm–Staab-Straße und Dortustraße, erklärte die Wissenschaftlerin auf ihrem Stadtrundgang, bei dem sie besonders die Ereignisse zwischen 1806 und 1808 in Potsdam während der französischen Besatzung thematisierte.

Für Napoleon war es der letzte große Triumph, als er am 24. Oktober 1806 an der Spitze seines Heeres – wahrscheinlich über die Lange Brücke – in Potsdam einritt. „Er tat, was jeder Neuankömmling in Potsdam auch heute noch macht – ein typisches Touristenprogramm mit Besichtigung des Stadtschlosses, von Sanssouci und der Garnisonkirche mit dem Grab Friedrich II.“, erzählt Kamp.

Für die Potsdamer Bevölkerung hingegen bedeutete Napoleons Besetzung zuvorderst Einschränkungen, erhöhte Abgaben und vor allem ziemliche Enge. Potsdam hatte Ende des 18. Jahrhunderts 18 000 Einwohner, mit der Garnison und den hier lebenden Soldaten-Familien lebten hier rund 27000 Menschen. Mit der französischen Invasion wurden schätzungsweise 100 Obristen und gut 2500 Soldaten dauerhaft stationiert. Aber wenn Truppenteile durchzogen, konnte die Zahl leicht auf das Zweieinhalbfache hochschnellen. Insgesamt sollen in den zwei Jahren rund 66 000 Soldaten in Potsdam gewesen sein. Eine Herausforderung für die Infrastruktur und die Versorgung.

An den Stadtmauern wurden Behelfsställe für die gut 700 Pferde errichtet, erläuterte Führerin Kamp am Nauener Tor. „Bis ins 20. Jahrhundert fanden sich auf der Hegelallee noch Nachfolgebauten“, wussten Führungsteilnehmer zu berichten. Potsdamer, die in der Nähe der Stadttore wohnten, sollten durchziehende Soldaten sogenannte „Refreshments“ ausgeben: ein Viertel Laib Kommissbrot, etwas Käse, Gemüse und Fleisch und vier Schnäpse.

Noch schwieriger wurde die Unterbringung der stationierten Offiziere und Soldaten. In den Privathäusern musste Platz geschaffen werden für die Armee. Die Quartierkosten betrugen pro Offizier drei, pro Soldat einen halben Reichstaler. Dazu gab es ein Bier oder einen Schoppen Wein pro Tag, auch Gemüse sollte den „Gästen“ kredenzt werden. Fleisch und Brot stellte die Armee. Um die Mengen zu lagern, wurden öffentliche Gebäude und Gotteshäuser zu Magazinen umgewidmet.

In der französischen Kirche wurde Stroh für die Pferde gelagert, im alten Rathaus ein Brotmagazin eingerichtet. Historikerin Kamp räumte dabei mit einem Irrglauben auf: Nicht die Franzosen selbst hatten die Französische Kirche als Lager in Beschlag genommen. Die Armeeführung ging zum Magistrat und verlangte lediglich geeignete Räume. Die Stadtverwaltung wies daraufhin der Armee die Französische Kirche zu. Bezweifelt wurde von Silke Kamp, dass auch Pferde im Gotteshaus beherbergt wurden. „Erstens bietet die Kirche eigentlich zu wenig Platz, außerdem waren Behelfsställe schnell gezimmert.“ Per Gutscheinsystem mussten die Potsdamer die Waren abholen und ihren „Untermietern“ servieren. Französische Soldaten, denen die Rationen nicht reichten, gingen auf Plünderungstour. „Die Schadensmeldungen der Potsdamer aus diesen Jahren füllen mehrere Regalmeter im Stadtarchiv“, wusste Silke Kamp zu berichten.

Trotz allem wollte sie die Zeit der Besatzung keinesfalls nur als schlecht bewertet sehen. „Durch die Franzosen wurde die demokratische Entwicklung gefördert“, so Kamp. Mit den französischen Schlagworten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ entwickelte sich Bürgersinn im monarchisch geprägten Potsdam, in dessen Zuge sich auch das erste Bürgerkomitee gründete. Und nicht zuletzt: Jede Hausnummer erinnert an die Besatzer, die Franzosen führten diese Ordnung ein. Ohne sie würden Potsdams Häuser eventuell noch immer nummernlos und nur mittels Feuerkataster geordnet sein.

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