Landeshauptstadt: Ein Wald aus Beinen
90 Minuten im Rollstuhl: Zwei Mitglieder des Bauausschusses testeten Einschränkungen im Selbstversuch
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Innenstadt - Schon nach wenigen Metern Stillstand – die winzigen Vorderräder haben sich zwischen Kopfsteinpflasterfugen und Bordsteinkante verkeilt. Der Rollstuhl bewegt sich weder vor noch zurück. „Ohne fremde Hilfe wäre ich hier nicht weitergekommen“, sagte Wolfhard Kirsch.
Der Stadtverordnete von der Fraktion Bürgerbündnis machte gestern gemeinsam mit Rolf Kutzmutz (Die Linke) einen Selbstversuch. Die Bauausschussmitglieder setzten sich in einen Rollstuhl und bewegten sich durch die Brandenburger und ihre Seitenstraße. Den Anstoß dazu hatte Joachim Kumpch vom Allgemeinen Behindertenverband Brandenburg gegeben, als es in der Bauausschusssitzung Mitte April um die Vereinbarkeit von historischem Pflaster und Barrierefreiheit ging. Kumpch, der selbst im Rollstuhl sitzt, hatte auch früher schon als sachkundiger Bürger im Fachausschuss wiederholt darauf hingewiesen, dass die Fortbewegung auf unebenen Belägen für jeden Menschen mit Mobilitätseinschränkung mühsam ist. „Viele verstehen das aber erst, wenn sie es einmal selbst ausprobieren“, erklärte Kumpch. Enttäuscht sei er allerdings darüber, dass nur zwei von zehn Ausschussmitgliedern den Mut hatten mitzumachen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass drei Zentimeter Höhenunterschied so schwer überwindbar sind“, sagte Rolf Kutzmutz. Kirsch demonstrierte, dass die leichte Neigung der Gehwege ihn ständig zum Gegensteuern zwinge. Joachim Kumpch hatte bewusst die Innenstadt als Probestrecke gewählt. „Hier gibt es verschiedene Situation – Neigungen, Fugen, Bordsteinkanten – auf einem Fleck“, erklärte er. Und auch das möchte er zeigen: In viele Geschäfte hätten Menschen im Rollstuhl keinen Zutritt, schlicht, weil die Eingänge zu schmal oder mit einer Stufe versehen sind. Dabei gehöre es zu einem „gewissen Maß an Lebensgefühl“, selbstständig etwas auszusuchen. „Blumen kaufen für die Angebetete oder ein gutes Buch für einen Freund“, zählte der Engagierte die Dinge auf, die für Menschen auf gesunden Beinen selbstverständlich sind. „So wie den Überblick zu behalten“, sagt Kirsch. Der knapp zwei Meter große Mann ist es gewohnt, über die Köpfe anderer zu schauen. Im Rollstuhl sah er plötzlich einen ganzen Wald aus Beinen vor sich und verlor sogar seine „Mitfahrer“ im Gewühl. Als die Kolonne dann in ein Café einbog, war vor allem Rolf Kutzmutz über die Blicke erstaunt. „Manche gucken mitleidig, andere einfach weg.“
Noch unter dem Eindruck der über 90 Minuten im Rollstuhl, versprachen Kirsch und Kutzmutz, künftig mehr auf Barrierefreiheit zu achten. Mindeststandard sollte sein, so Kirsch, dass die Behindertenparkplätze problemlos nutzbar seien. In der City lägen die Parkplätze vielfach in großfugigen Kopfsteinstraßen, auf stark geneigten Flächen und kaum zugänglich, pflichtete ihm Kumpch bei.
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