SCHÖNBOHM meint: Ein Wochenende ohne Handy
Kurz vor dem Abflug nach Salzburg stelle ich ärgerlich fest, dass ich mein Handy vergessen habe. Vergeblich suche ich eine öffentliche Telefonzelle in dem Abfertigungsraum des Flughafens.
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Kurz vor dem Abflug nach Salzburg stelle ich ärgerlich fest, dass ich mein Handy vergessen habe. Vergeblich suche ich eine öffentliche Telefonzelle in dem Abfertigungsraum des Flughafens. Schlagartig wird mir bewusst, dass ich sowohl auf mein Gedächtnis hinsichtlich der Telefonnummern wie ebenso auf hilfsbereite Mitbürger angewiesen bin. Ein junges Mädchen HÄNDIGT mir auf meine Bitte freundlich das ihrige aus und meint offenbar mitfühlend: „Rufen Sie am besten Ihre Frau an!“ Ich berichte meiner Frau und sie wird alle Anrufer bis zu meiner Rückkehr auf Montag vertrösten.
Ein Wochenende ohne Handy hatte ich mir bisher entspannend und erholsam vorgestellt. Nun aber stellte sich dieses Erlebnis als stressig heraus. Natürlich hatte ich die gespeicherten Daten nicht alle im Kopf. Meine Gedanken liefen im Kreise. Umgekehrt - auch ICH war ja nicht erreichbar! Aber schließlich musste ich meinem Dienstherrn nicht mehr Tag und Nacht in meiner Verantwortung zur Verfügung stehen. Es könnte aber auch etwas in der Familie, mit den Kindern oder Enkeln passieren? Oder was mache ich, wenn ich denjenigen verfehle, der mich Flughafen abholen wird? Woher bekomme ich die Anschrift meines Hotels und wie kann ich es benachrichtigen? Ich fühle mich ziemlich hilflos und nur noch begrenzt handlungsfähig. Die um mich herum eifrig telefonierenden Mitreisenden, von denen mindestens jeder Zweite sein Handy am Ohr hat, verstärken in mir das Gefühl meiner misslichen Situation. Offenbar hat sich mit und zu meinem Handy ein solch enges Verhältnis entwickelt, dass unbeabsichtigt eine Abhängigkeit entstanden ist. Wieder zu Hause stelle ich erstaunt fest, dass hinter mir ein entspanntes und störungsfreies Wochenende liegt - trotz der anfänglichen Nervosität. Es hatte sich nichts Grundlegendes ereignet. Keine Wichtigtuer hatten gestört und in der Familie war es offensichtlich gar nicht richtig aufgefallen, dass ich nicht unmittelbar zu erreichen gewesen war. Hatten Kinder und Enkel vielleicht daran gedacht, dass ich mir mal eine kurze Auszeit genommen hätte? Letztendlich habe ich einen neuen Freiraum entdeckt und gewonnen. Dennoch werde ich in Zukunft einige wichtige Telefonnummern nicht nur im Kopf, sondern auf Papier dabei haben, um Verbindung zu halten. Mir fällt eine Weisheit von Schopenhauer ein: „Ich meine, wir sollten das, was wir besitzen, bisweilen uns so anzusehen bemühen, als ob wir es verloren hätten “
Unser Autor Jörg Schönbohm ist ehemaliger Innenminister des Landes Brandenburg, Senator in Berlin, General a.D. der Bundeswehr und Ehrenvorsitzender der CDU Brandenburg. Er lebt in Kleinmachnow.
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