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Homepage: Ein zerplatzter Traum

Die Zeithistoriker entdecken die 70er Jahre

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Sozusagen an ein ganz aktuelles Thema haben sich die Zeithistoriker nun heran gearbeitet. Weil sich die westdeutschen Archive aufgrund der 30-Jahre Regelung erst jetzt langsam für die Historiker öffnen, werden die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts nun jüngste Zeitgeschichte. Dass man sich mit dieser eher unspektakulären Epoche beschäftigen sollte, befanden Zeithistoriker nun auf einer Konferenz am vergangenen Wochenende am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Man sollte die 70er Jahre nicht unterschätzen, so der Konsens unter den Forschern. Denn, was auf den ersten Blick eher nach einem Jahrzehnt des kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruches sowie liberalisierter Lebensformen aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen doch als Beginn eines umfangreichen Strukturwandels.

So überschrieb der ehemalige Co-Direktor des ZZF, Prof. Konrad H. Jarausch seinen einleitenden Beitrag zu der Konferenz dann auch mit „Das Ende der Zuversicht“. Von der Mehrheit damals völlig unbemerkt habe sich in dieser Epoche ein fundamentaler Strukturwandel angekündigt, der schließlich das Ende der klassischen Industriegesellschaft signalisierte. Interessant dürfte bei dem noch recht jungfräulichen Thema für Historiker vor allem die Frage werden, warum die marxistische These von einer „verschärften Krise des Kapitalismus“ Probleme des Strukturwandels mit sich brachte, an der , so Jarausch, gerade die realsozialistischen Systeme zerbrochen sind. Denn, was sich im Westen als Vorzeichen der Globalisierung mit dem Einstieg in die Massenarbeitslosigkeit, regionaler Deindustrialisierung und Überdehnung des Sozialstaates bemerkbar machte, hat nach Ansicht der Historiker dann auch der DDR den Rest gegeben.

Der Staatssozialismus sei unter der Last der sozialökonomischen Umbrüche zusammengebrochen, konstatierte auch Prof. Christoph Boyer (Salzburg). Er nennt das Ende des „Golden Age“, den Strukturwandel der wirtschaftlichen Basis und den demografischen Übergang als Marksteine des Umbruchs, der sich vor dem Hintergrund der schwindenden Steuerungskompetenz nationalstaatlicher Politik vollzogen habe. Kurz gesagt litten seit Mitte der 70er Jahre Ost wie West unter ähnlichen Problemen, wofür man aber unterschiedliche Lösungen suchte.

Die allgemeine Zäsur bildet der Ölpreisschock 1973. Bis dahin gab es in der westlichen Industriewelt noch den Glauben an immerwährende Prosperität und Vollbeschäftigung. Dr. Winfried Süß (München) spricht gar von einem zerplatzten keynesianischen Traum: „Seit dem ersten Ölpreisschock bestimmen nicht mehr Vollbeschäftigung und hohe Wachstumsraten den Handlungsrahmen der Sozialpolitik, sondern instabiles Wachstum, Inflation und steigende Sockelarbeitslosigkeit“. Der Wohlfahrtsstaat im Westen sei immer mehr unter den Druck von Kostendämpfung und Konsolidierung geraten: „Seither bekam das Traumbild der keynesianischen Vollbeschäftigungsgesellschaft zunehmend größere Risse“.

Die Turbulenzen der 70er Jahre hätten schließlich – von einem Großteil der Zeitgenossen unbemerkt – zu nachhaltigen Veränderungen der Erwerbs- und Wirtschaftsverhältnisse geführt, die auf lange Sicht das Ende des expansiven spätindustriellen Wachstumsmodells herbeiführten. Es folgte der Wandel von einer durch industrielle Produktion dominierten in eine stärker durch unmaterielle Produktion und Dienstleistungsberufe geprägte Wirtschaft, die einen Teil ihrer Wachstumsdynamik verlor.

Im Westen, so Jarausch, habe das notwendige Krisenmanagement die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt belastet und zu einer Renaissance neoliberaler Wirtschaftstheorie geführt – was schließlich die konservative Wende in der Bundesrepublik einleitete. Im Osten hingegen habe man den Umbruch mehr oder weniger verdrängt. Mit weitreichenden Folgen: „Die Weigerung der DDR-Führung, diese Probleme wahrzunehmen und zu überwinden, trug erheblich zu ihrem Untergang bei“, so Jarausch.

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