Von Sabine Schicketanz: Ein Zwischenspiel als Höhepunkt
Pflichtprogramm statt Potsdam-Gefühl: Dem Neujahrsempfang der Stadt mangelte es an Glanz und Inhalt
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Glanzvoll geht anders. Potsdams offizieller Neujahrsempfang, in den Vorjahren Wegweiser für die politische Agenda der Stadt und gleichermaßen Bühne für das Potsdam-Gefühl, geriet dieses Mal zur gewöhnlichen Festveranstaltung. Die Stimmung gestern Mittag im Nikolaisaal erinnerte eher an Pflichtprogramm, Potsdams viel erwähnte Prominenz blieb dem Ereignis gleich komplett fern. Brillante, wenigstens amüsante Redebeiträge lieferten weder Oberbürgermeister Jann Jakobs noch Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD). Allein „Spiegel“-Journalist Matthias Matussek vermochte dem Publikum einige Regungen zu entlocken – sein launiges Essay zum Thema Familie als Einführung in das städtische „Jahr der Familie“ hatte allerdings mit Potsdam konkret gar nichts zu tun.
Während Jakobs mit seinem zwar soliden, aber wenig inspirierten Redebeitrag die Chance verstreichen ließ, sich im Jahr der Oberbürgermeister-Wahl als agiler Amtsinhaber für eine Wiederwahl zu empfehlen, wirkte Platzeck im Vergleich zu den Vorjahren geradezu distanziert. Jedes persönliches Wort zur Entwicklung seiner Geburts- und Heimatstadt fehlte. Stattdessen lauschten die etwa 650 Gäste in Teilen einer Zusammenfassung der bildungspolitischen Ansätze der SPD.
Dass die jungen Musiker des Jugendsinfonieorchesters der Städtischen Musikschule „Johann Sebastian Bach“ den meisten Applaus bekamen, war nicht allein symptomatisch – sie hatten ihn auch verdient. Unter Leitung von Jürgen Runge spielten sie zum Auftakt den ersten Satz aus Dvoráks neunter Sinfonie. Besonders bewegend allerdings war das laut Programmhinweis „musikalische Zwischenspiel“. Mit dem – zumindest für Laienohren – herausragenden Solisten Max Lewandowski, der seiner Violine mit vollem Körpereinsatz ungeahnte Töne entlockte, geriet der vom gesamten Orchester kraftvoll vorgetragene erste Satz des Violinkonzerts von Felix Mendelssohn- Bartholdy zu einem der wenigen Höhepunkte des Neujahrsempfangs.
Bewegende Momente gehörten ansonsten allein den mit einem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Geehrten. Eintragen durften sich gestern Helga Hefti, Gründerin der Bürgerinitiative am Stern, sowie das Gründertrio des Mitmach-Museums Exploratorium in Babelsberg Elisabeth Prommer, ihr Mann Ulrich Hienzsch und Axel Werner.
Die 70-jährige Hefti zeigte sich sehr gerührt von der Ehrung. Sie hatte, so Oberbürgermeister Jakobs in seiner Laudatio, vor elf Jahren mit fünf Mitstreitern die Bürgerinitiative im Neubaugebiet am Stern gegründet. Seither sei Hefti eine „Mahnerin gegenüber der Verwaltung“ und eine „glühende Streiterin für ihr Wohngebiet“, sagte Jakobs. Helga Hefti könne die Neugestaltung des Johannes-Kepler-Platzes, den sie einst eigenhändig mit anderen Bürgern vom Stern „begründet“, ebenso zu ihren Erfolgen zählen wie den Wandel der ehemaligen Wohngebietsgaststätte „Orion“ zum Einkaufszentrum im Kiez. Nach „schweren persönlichen Schicksalsschlägen“ hatte Hefti sich im Jahr 2008 aus der Bürgerinitiative zurückgezogen und ihren Vorsitz abgegeben. Jetzt allerdings sei sie wieder dabei – als pragmatische wie resolute Aktive im Lokalen Bündnis für Familie, im Jugendklub, im Kindertreff, im Eltern-Kind-Zentrum und in der Stern-Kirche. Der dortigen Gemeinde gehörten ihre Sympathien, sagte Hefti, die sich auf der Bühne schlicht bei jenen bedankte, die „sich mit mir freuen“. Als aktuelle Brennpunkte am Stern sieht Hefti die „marode Kaufhalle“ und den Bürgertreff Sternzeichen. Die alte Halle müsse abgerissen werden, an ihrer Stelle wünscht sich Hefti eine Grünfläche; das Bürgerhaus müsse mehr genutzt werden und bessere Angebote machen, hier sei das Schlaatzer Pendant beispielgebend.
Als beispielhaft wurde das Engagement der Exploratorium-Gründer gewürdigt. Das wissenschaftliche Mitmach-Museum für Kinder sei ein „Aushängeschild nicht nur für die Stadt, sondern für das ganze Land“, so Ministerpräsident Platzeck in seiner Laudatio. „Dort wird mit einem Lachen im Gesicht gelernt.“ Ideengeberin für das Exploratorium ist Elisabeth Prommer. Als sie 2003 von einem Forschungssemester in Kalifornien zurückkehrte, habe sie genau gewusst, was Potsdam brauche – ein Exploratorium. „Die gab es in Kalifornien schon im Dutzend.“ Zuerst habe sie ihren Mann Ulrich Hienzsch überzeugt, beide spendeten ihrem Projekt als Startkapital 200 000 Euro. Mit dem Wissenschaftler Axel Werner gründeten sie 2004 den Exploratorium-Verein, im September 2009 konnten sie im Museum an der Wetzlarer Straße in Babelsberg den 250 000. jungen Besucher begrüßen. Anfang 2011 soll nach jüngsten Planungen Baustart für das vier bis fünf Millionen Euro teure neue Exploratoriums-Haus auf dem Gelände des Filmparks Babelsberg sein. Das Wissenschaftsmuseum sei ein „Gemeinschaftsprojekt“, sagte Gründer Hienzsch, der gleichsam den „Privategoismus“ der Griebnitzsee-Anrainer kritisierte, die seit dem vergangenen Frühjahr den einstigen Uferweg gesperrt halten. Dafür gab es, wenigstens einmal an diesem Nachmittag, spontanen Beifall.
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