Landeshauptstadt: „Eine Auffälligkeit an der Halswirbelsäule“
Der Zeitzeuge Lothar Scholz muss 1200 Euro Geldbuße für seinen Angriff auf die Leiterin der Gedenkstätte Leistikowstraße zahlen
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Mit klaren Worten erklärte Richterin Birgit von Bülow, dass sie den Aussagen der Zeuginnen Glauben schenkt: „Es hat sich so zugetragen.“ Dessen ungeachtet stellte die Richterin das Verfahren gegen den 84-jährigen ehemaligen Insassen im sowjetischen Arbeitslager Workuta, Lothar Scholz, am Donnerstag vor dem Amtsgericht Potsdam gegen Zahlung von 1200 Euro an das Deutsche Rote Kreuz ein. Scholz hatte die Historikerin Ines Reich, Leiterin der Potsdamer Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße – ein ehemaliges Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr –, am 23. März 2012 tätlich angegriffen und Morddrohungen gegen diese geäußert.
Einem ersten Strafbefehl über 900 Euro hatte Scholz widersprochen, weil dieser ein Urteil in Abwesenheit darstelle. Das erlebe er nicht zum ersten Mal: Scholz wurde 1947 per Fernurteil aus Moskau wegen angeblicher Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Am Donnerstag sagte er: „Ich muss das Gericht sehen, das ist für mich Gerechtigkeit.“
Richterin von Bülow stellte klar, dass sie nicht zu entscheiden habe, wer im Streit um die Inhalte der Gedenkstätte Leistikowstraße im Recht sei. Scholz erklärte, Ines Reich habe bei ihrem Amtsantritt „die bisherige Ausstellung liquidiert“ und „die bisherigen Mitarbeiter abserviert“ sowie Zeitzeugengespräche nicht mehr zugelassen. Mit einem Schreiben aus dem Büro des Ministerpräsidenten sei er an jenem 23. März in die Gedenkstätte gegangen, um einen Termin für ein Zeitzeugengespräch zu vereinbaren. Tenor des Briefes: Solche Gespräche müssten selbstverständlich möglich sein. Ines Reich habe ihm jedoch erklärt, dass dies wegen der Vorbereitungen für die neue Dauerausstellung jetzt nicht möglich sei. Er habe sie „unsanft beiseite geschoben“. An mehr könne er sich nicht erinnern.
Ines Reich schilderte, Scholz habe sie „eine Pseudohistorikerin“ genannt und erklärt, sie sehe „alt und fertig aus“. Zudem habe er gedroht, sich anzuketten, die Gedenkstätte in die Luft zu jagen, auch wolle er, dass sie in ihrem Büro verbrennt. Er habe mit dem Brief herumgefuchtelt und sei auf sie zugekommen, habe seine Hände an ihren Hals genommen und sie geschüttelt. „Dann fuhr er seine linke Faust aus, um mir ins in Gesicht zu schlagen.“ Ihre Kollegin Maria Schulz „hat ihn mit beiden Armen festgehalten“ und das verhindert. „Ich war völlig unter Schock“, so die Gedenkstättenleiterin. Ein Arzt habe später „eine Auffälligkeit an der Halswirbelsäule“ festgestellt, die „auf ein Schleudertrauma hinweist“. Am Tag darauf habe sie von Scholz ein Fax erhalten, „ein richtiges Bekennerschreiben“. Der Inhalt: Er, Scholz, habe den Eklat gewollt und sie, Ines Reich, sei „in das Fettnäpfchen getreten“. In einem weiteren Fax im Frühjahr 2013 habe Scholz sie mit ihrem Mädchennamen angesprochen, den eigentlich niemand kenne sowie Grüße von ihrem Doktorvater ausgerichtet. „Das sind Dinge, die mich stark beunruhigen“, sagte Ines Reich. Maria Schulz, Historikerin, bestätigte, teils den Tränen nah, die Schilderungen: „Ich habe seinen Arm gefühlte zehn Minuten lang festgehalten.“ Zudem berichtete die 34-Jährige, das Scholz sie am 20. Mai 2013 in der Landeszentrale für politische Bildung an ihrem Pferdeschwanz gezogen habe – „eine Form der Übergriffigkeit“. Dazu Scholz: „Ich liebe Frauenhaare, das ist meinem Mannsein geschuldet.“
Der 84-Jährige erklärte, es tue ihm leid, er hoffe, „dass die Wunden schnell verheilen“. Ob das ironisch gemeint war, fragte darauf die Richterin. Scholz: „Nein, der Notarzt wird doch da gewesen sein.“ Mit Antworten wie diesen brachte Scholz sich um die Chance einer niedrigeren Geldbuße. Richterin von Bülow machte abschließend klar: „Das man Ziele mit Gewalt durchsetzt, geht gar nicht. Das muss komplett aufhören!“ Guido Berg
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