Ausgesprochen KAPUSTE: Eine deutsche Krankheit
Kurt Tucholsky in seinen „Ratschlägen an schlechte Redner“: „Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören – das ist die Gelegenheit! Missbrauche sie.
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Kurt Tucholsky in seinen „Ratschlägen an schlechte Redner“: „Wenn einer spricht, müssen die andern zuhören – das ist die Gelegenheit! Missbrauche sie.“ Ein Rat, der in Potsdam gerne befolgt wird. Ich meine die gefürchteten Ansprachen, die oft zum Beginn von Veranstaltungen gehalten werden. Die schier endlose Abfolge von Begrüßung der Honoratioren, von Gruß- und Dankesworten, Rück- und Ausblicken und Einführungen in das Bevorstehende. Fünf Reden an einem Stück sind keine Seltenheit, insbesondere, wenn Land, Stadt und irgendwelche Institutionen gefördert haben und glauben, sich dafür selbst loben zu müssen. Da hofft man vergebens, eine/r der angekündigten Redner/innen möge irgendwo im Verkehrsstau stecken geblieben sein, oder dass es jemand mal dabei belässt, sich den lichtvollen Ausführungen des Vorgängers anzuschließen. Aber Pustekuchen! Was man vorbereitet hat, wird gnadenlos abgespult. Die Leidensfähigkeit der Leute muss getestet werden. Hat sie ja niemand zum Kommen gezwungen!
Ich leugne nicht, dass auch Bemerkenswertes geäußert wird, aber die mögliche Qualität wird von der Quantität erschlagen. Schlimm sind oft die Reden der Landesminister/innen. Sie haspeln ab, was ihre Referenten im Internet abgekupfert haben, und eilen danach hurtig zum nächsten Termin.
Es ist kein Trost, dass es bei Familienfeiern, Vereins- und Betriebsfesten und -jubiläen und Mitgliederversammlungen der Parteien genauso zugeht, ja manchmal sogar noch schlimmer. Nicht umsonst sind wir Deutschen als Dauerredner und Langweiler berüchtigt. Allerdings kann man sich bei diesen Veranstaltungen wenigstens einen hinter die Binde gießen.
Und da ist auch noch die Unsitte, zu Beginn ausgiebig Einzelpersonen zu begrüßen und dann erst die Besucher. Ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, als Hoheiten, Exzellenzen und Eminenzen freudigst, dankbar und untertänigst willkommen geheißen wurden, und danach erst das gemeine Volk. Wenn überhaupt. Im demokratischen 21. Jahrhundert sollte es umgekehrt sein, selbst wenn ein vom selbigen Volk gewählter Ministerpräsident anwesend ist.
Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.
Eberhard Kapuste
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