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Homepage: Eine Falle für Kinder

Sexualmediziner über die Folgen des Internets

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„Viele Jugendliche haben das Gefühl, dass das Internet sie besser versteht, als ihre Eltern“, vermutet der Informatiker Klaus Rebensburg. Dieses Gefühl könne sich allerdings schnell umkehren, nämlich dann, wenn der Sohn oder die Tochter plötzlich die eigenen Eltern auf Facebook als Freunde entdecken würden. „Das kann dann ziemlich gruselig sein“, sagte Rebensburg auf der Jahrestagung für Sexualmedizin an der Uni Potsdam.

Das Internet, seine rasante Entwicklung innerhalb der vergangenen 35 Jahren und die Auswirkungen auf die Sexualmedizin waren Themen der Tagung. Es sei kaum ausgelotet, welche therapeutischen Möglichkeiten das Internet bietet, kommentieren die Fachleute. Sie sind sich aber sicher, dass das Netz die Möglichkeiten des Erlebens und die Wahrnehmung von Sexualität verändert und erweitert.

„18 Milliarden Dokumente stehen bereits im Netz, 2,6 Milliarden Handys gibt es. Mit dem immer weiter wachsenden Medienangebot verändert sich auch unsere Kommunikation“, stellte Rebensburg fest. Der Zugang des Internets über Mobiltelefone, die jederzeitige Abrufbarkeit von Navigationsdaten und persönlichen Befindlichkeiten in entsprechenden Kontaktforen verändere auch das Bild, dass sich der einzelne von der Welt mache. Sex mit einem virtuellen Partner sei eigentlich schon heute keine Zukunftsmusik mehr. Denn entsprechende Muster und Reize auf der Haut könnten ebenso problemlos wechselseitig übertragen werden, wie Bilder über die Webcam. „Computer vermittelte Kommunikation kann kein Ersatz für direkte Kommunikation sein“, stellte dagegen die Sexualwissenschaftlerin Nicole Döring klar. „Die körperliche Kopräsenz per se ist keine Determinante für den Superlativ an Intimität oder Intensität“, dämpfte Döring allerdings auch allzu hohe Erwartungen an partnerschaftlichen Sex.

Der Sexualwissenschaftler Klaus Beier warnte auf der Tagung vor bleibenden Schäden für Kinder und Jugendliche durch den Konsum von Pornographie im Internet. Bei der Nutzung könne es zu unumkehrbaren „Prägungsvorgängen“ für die sexuelle Ausrichtung der Minderjährigen kommen, so der Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft an der Berliner Charité-Klinik. Es entstünde ein Schaden hinsichtlich des sexuellen Selbstkonzeptes. „Kinder werden im Internet bereits sehr früh zu Opfern“, beklagte Beier. So suchten Täter nicht selten den ersten Kontakt zu Minderjährigen in Chatforen. Zugleich hätten Minderjährige leichten Zugang zur „ganzen Bandbreite“ der Internetpornographie, einschließlich der strafbaren Inhalte, so der Wissenschaftler.

Die Übertragung und Kontrolle von Pornographie im Netz thematisierte dann auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Ihr Ministerium arbeite mit Hochdruck daran, aktuelle Gesetze zur Prävention und Intervention gegen Kindesmissbrauch im Internet auszuarbeiten. „Neue Medien erfordern neue Strategien“, stellt Schröder fest. Sie wies darauf hin, dass nicht die Neigung zur Kinderpornografie strafbar sei, sondern die Handlung – man wolle kein Gesinnungsstrafrecht schaffen. Schwierigkeiten bereitet schon das Erkennen des entsprechenden Bildmaterials. Bis zu 50 Fachkräfte sind beim BKA damit beschäftigt, nach strafbarem pornografischem Material zu forschen. „Kein besonders angenehmer Job“, sagt Klaus Rebensburg. Deshalb würden Informatiker in Potsdam Programme entwickeln, die an einer Schnittstelle zwischen Informatik und Medizin mit einer Analyse von Haut und Struktur der abgebildeten Person dessen Alter und Befindlichkeit ermitteln könnten.

Die rechtlichen Voraussetzungen zum Einsatz von Computerspielen, beispielsweise um Neigungen zum Kindesmissbrauch vorzubeugen, untersucht der Rechtsanwalt Malte Behrmann. Es soll nicht gleich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und zu viel verboten werden. Die therapeutischen Möglichkeiten von Computerspielen strich auch Sexualwissenschaftler Beier heraus. Er hält es für denkbar, dass über Computerspiele und elektronisches Lernen Werte wie gegenseitiger Respekt und Selbstrücksichtnahme vermittelt werden.

In einem Ausblick auf das Jahr 2020 vermutet Rebensburg, dass mit dem Web 3.0 ein neuer sozialer Raum entstehen werde. Das Internet werde immer stärker auf die einzelne Person zugeschnitten sein. Die technischen Möglichkeiten permanent zu erfassen, wer sich wann wo befinde und in welcher Gemütsverfassung sei, werde es vermutlich bald geben. Damit wäre dann die Orwellsche Fantasie vom Big Brother endgültig Wirklichkeit geworden. „Dann ist die Politik gefragt, um einen Rahmen abzustecken“. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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