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Von Erhart Hohenstein: Eine Frage der Ehre

Grenzoffizier bestreitet, 1988 die Einreise von Außenminister Hans-Dietrich Genscher verzögert zu haben

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Gerade ist Hans-Dieter Behrendt aus Oldenburg zurückgekommen, wo er an einem von NRW-online veranstalteten Forum über den Mauerfall teilnahm. Der 79-Jährige informierte dabei über Struktur und Wirkungsweise des DDR-Grenzsystems. Darin kennt sich der ehemalige Oberstleutnant bestens aus, war er doch bis zum Ende der DDR für alle Grenzübergangsstellen zu Westberlin zuständig. Im Gegensatz zu den meisten Grenzoffizieren, die über ihre Dienstzeit schweigen, nimmt Behrendt als eine Art „Potsdamer Schabowski“ an Veranstaltungen teil, ist als Buchautor („Im Schatten der Agentenbrücke“) hervorgetreten und führt Prominenz über die Glienicker Brücke, darunter den Sohn des im Jahr 1962 hier gegen den sowjetischen Topagenten Oberst Rudolf Abel ausgetauschten amerikanischen Spionagefliegers Gary Powers.

Dies alles tue er nicht etwa, um die DDR schönzureden, sondern um zu einer „wahrheitsgemäßen Aufarbeitung der Zeitgeschichte“ beizutragen. Deshalb hat Behrendt kräftig gefrustet, dass der frühere Bundesaußenminister Genscher vor kurzem bei einem Besuch in Potsdam die Story aufwärmte, er sei bei seiner ersten Einreise 1988 auf der Glienicker Brücke von den DDR-Grenzern aufgehalten worden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zwanzig Minuten dauert, um festzustellen, ob ich Hans-Dietrich Genscher bin“, hatte er damals erklärt.

Die Verzögerung wurde als Provokation seitens der DDR-Seite gewertet und in der (West)Presse ausgeschlachtet. Zweifellos brachte dies auch den Verantwortlichen für die Grenzabfertigung, also Oberstleutnant Behrendt, in eine schwierige Situation. Angesichts der Einreise westlicher Politiker zu der im Potsdamer Alten Rathaus veranstalteten Ost- West-Sicherheitskonferenz hatte Stasi- Minister Erich Mielke persönlich angewiesen, alle Voraussetzungen für eine „störungsfreie, niveauvolle, zügige und höfliche Abfertigung“ an der Grenze zu schaffen.

In seiner Dienstehre gekränkt, berichtete Behrendt in der ihm abverlangten Information dem Stasi-Ministerium, das Spitzenfahrzeug sei am 11. Juni 1988 zwischen 9.04 und 9.07 Uhr, also innerhalb von zwei bis drei Minuten, abgefertigt worden, Genscher habe aber von sich aus auf die Abfertigung seines aus vier Fahrzeugen bestehenden Trosses gewartet, in dem einige Personen nicht über die für die Einreise verlangte „Zählkarte“ verfügten. Nach 14 Minuten habe das letzte Fahrzeug die Brücke verlassen.

Dieser Bericht sei von seinen Vorgesetzten so akzeptiert worden, sagt Hans-Dieter Behrendt, der das damals „streng geheime“ Dokument den PNN zur Verfügung stellte. Er habe wegen der Verzögerung weder einen Verweis noch einen verbalen Rüffel erhalten. Dagegen frozzelten ihn andere Grenzoffiziere: „Ach Du bist das, der sich erlaubt hat, den Außenminister der BRD zwanzig Minuten warten zu lassen “

Nach der Wende hat Behrendt dem Außenminister, der um ergänzende Informationen für seine Memoiren bat, den aus seiner Sicht korrekten Sachverhalt des Zwischenfalls vermittelt. Schließlich habe Genscher seinen Kommentar über die Grenzabfertigung 1988 als „spaßige Äußerung“ abgetan.

Dass der FDP-Politiker nun doch auf seine damalige Aussage zurückkomme, könne er nicht akzeptieren, sagt Behrendt. Er befürchte, dass sie Eingang in die Ausstellung zur Glienicker Brücke findet, die im November im Beisein Genschers in der Villa Schöningen eröffnet wird. Damit würde seiner Ansicht nach einer historisch falschen Darstellung Dauer verliehen.

Erhart Hohenstein

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