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Schulen und Politik: Eine Frage der Zeit

Eine Veranstaltung mit Vertretern der Parteien am Potsdamer Humboldt-Gymnasium hat das Schulamt Brandenburg untersagt. Als Grund nennt das Ministerium eine Sperrfrist vor den Wahlen

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Für die Podiumsdiskussion waren Anna und Bendix gut gerüstet. Bei der TV-Moderatorin Sandra Maischberger haben die beiden Elftklässler des Humboldt-Gymnasiums gelernt, wie man mit Politikern umgeht – wie man die Dauerredner unter ihnen unterbricht oder mit verbalen Aggressionen umgeht. Sie haben einen zweitägigen Workshop in Berlin absolviert, um den Wahlkämpfern Paroli bieten zu können. Sie haben fünf Kandidaten für die Diskussionsrunde drei Tage vor der Wahl eingeladen. Nun mussten Anna Luedcke, 17, und Bendix Lippe, 16, ihnen wieder absagen. Das Staatliche Schulamt hat ihrer Schulleiterin die Veranstaltung untersagt. Ebenso wie einem Gymnasium in Wittenberge. Grund: Sechs Wochen vor einer Wahl dürfen Politiker nicht mehr in Schulen in öffentlicher Trägerschaft auftreten.

Rund 50 Schulen hatte die Organisation Politikfabrik, gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung, bundesweit aus 160 Bewerbern ausgewählt. Im Rahmen des Projekts Wahlgang 13 sollten sie an eine Podiumsdiskussion herangeführt werden, die „bewusst in den Unterricht gelegt wurde“, so Kurt Reichert von der Politikfabrik. „Damit auch alle mitmachen.“ Die Podiumsdiskussion sollte unter Aufsicht eines Profi-Moderators stattfinden. Dass die zwei einzigen Brandenburger Schulen die Veranstaltungen abgesagt haben, ist für die Politikfabrik ein Novum und empörend: „Wir können das nicht nachvollziehen, dass uns vom Schulamt Steine in den Weg gelegt werden“, sagt Reichert. Bendix Lippe, in Politikersprech schon geübt, formuliert es schärfer: „Das ist Versagen der Landespolitik, dass so etwas ausgebremst wurde. Schade.“

Das Bildungsministerium sieht allerdings gute Gründe für das Verbot: Aus dem Demokratieprinzip und der Gewährleistung freier und gleicher Wahlen habe das Bundesverfassungsgericht für Staatsorgane „ein Gebot äußerster Zurückhaltung – vor allem in Wahlkampfzeiten“ formuliert, heißt es im Bildungsministerium. Auch würden in anderen Bundesländern ähnliche Vorschriften gelten. Doch wird dort stärker differenziert. In Mecklenburg-Vorpommern werden etwa Mandatsträger innerhalb der sechs Wochen vor der Wahl gebeten, Informationsbesuche auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. Von Podiumsdiskussionen ist da nicht die Rede. Und auch in Bayern gilt eine vierwöchige Sperrfrist. Aber „einen gewissen Spielraum“ gebe es schon, so die dortige Ministeriumssprecherin.

Ganz liberal handhabt hingegen das Land Schleswig-Holstein das in allen Bundesländern geltende Verbot von Tätigkeiten politischer Parteien. „Dies gilt nicht im Rahmen der Auseinandersetzung mit deren Meinungsvielfalt“, heißt es im Schulgesetz. So sehen das auch Anna und Bendix: „Die Diskussionsrunde ist doch eine Chance, sich eine Meinung zu bilden“, sagt Bendix. Die Schulleiterin des Humboldt-Gymnasiums, Carola Gnadt, springt ihren Schülern zur Seite: „Politik gehört in die Schule. Wir wollen ja mündige Staatsbürger.“

Die SPD-Politikerin und geladene Podiumsteilnehmerin Andrea Wicklein findet die Absage der Schule„sehr bedauerlich“. Die  Vorschrift sollte man nochmal überdenken, habe sie ihrer Parteikollegin und Bildungsministerin Martina Münch geraten. Schließlich sei es gut, wenn sich Schüler für Politik interessieren und man müsse alles dafür tun, dass Schüler ein Interesse für Wahlen entwickeln. „Es ist etwas anderes“, so Wicklein, „wenn einem Kandidaten Vorrang gegeben wird.“

Auch dem würden Anna und Bendix zustimmen. Umso mehr wundern sich die beiden, dass Ende August – also auch innerhalb der Sperrfrist – Brandenburgs Finanzminister Helmuth Markov (Die Linke) in ihre Schule zu einem anderthalbstündigen Vortrag kam. Thema im Leistungskurs Geografie des 11. Jahrgangs: Europapolitik. „Ein bisschen merkwürdig“, findet das Bendix. Auch wenn Markov sich nicht zur Bundestagswahl stelle, „er vertritt trotzdem seine Partei“, sagt er. Das Gesetz allerdings unterscheidet gar nicht so genau, wie Bendix es tut. Laut Verordnung hätte Markov als Politiker den Unterricht schlichtweg nicht besuchen dürfen.

Als einzige Option bleibt dem Humboldt-Gymnasium nun, die Veranstaltung auf die Zeit nach der Wahl zu verschieben. Dann kann die Politikfabrik zwar nicht mehr unterstützen, aber, so Bendix kämpferisch: „Wir lassen uns unsere Möglichkeit nicht nehmen, uns zu informieren und andere zu informieren.“ Außerdem ist nach der Wahl vor der Wahl: Im nächsten Jahr wird in Brandenburg der Landtag gewählt und zum ersten Mal können Jugendliche wie Anna und Bendix dann mitwählen.

Grit Weirauch

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