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DICHTER dran: Eine Frage des guten Geschmacks

Gewöhnlich bin ich kein Gourmet. Ich esse, was man mir vorsetzt; Bauernfrühstück, Pasta, Matjes.

Stand:

Gewöhnlich bin ich kein Gourmet. Ich esse, was man mir vorsetzt; Bauernfrühstück, Pasta, Matjes. Wenn’s sein muss, auch Schnitzel mit Pommes. Für Kellner bin ich pflegeleicht, ich bestelle, was auf der Karte steht, versuche nicht, meine Pommes gegen Kartoffelrösti, mein Erdbeereis gegen Stracciatella zu tauschen, ich verlasse mich auf Empfehlungen, gebe Trinkgeld und lasse nie etwas zurückgehen, außer es ist ein Haar in der Suppe. Ich bin die blasse Allerweltsgesichtkundin, die man schon vergessen hat, während sie noch bezahlt. Das ist jetzt anders. In Potsdam West wird man sich an mich erinnern. Und ich habe eine ganz neue Seite an mir entdeckt; ich besitze Mäkeltalent. In der sonnendurchsprengten, stillen Straße hallte es wider, als ich zum Kellner sagte: „Dieses harte Gelumpe kann ja kein Mensch essen!“ Gegenstand der Debatte war eine Pizza auf geschmacksneutralem Teig, der vom matschigen Kern zu den Rändern hin aushärtete, bis er an der Kruste die Konsistenz einer ordentlichen Asphaltstraße annahm, die mit einer schon gelieferten rostbraunen Soße überzogen und mit knisterndem Oregano überstaubt war. Es war nicht die erste dieser Art von Pizzaerfahrung in Potsdam. Pizza und Potsdam ist ein Antagonismus. Erst neulich hatte man mir einen als Mageritha getürkten roten Ziegel serviert. Und auch dieser Italiener wollte mir weismachen, seine Pizza sei die beste außerhalb Italiens. Ich glaube langsam, dass es außerhalb Italiens und speziell in Potsdam überhaupt nur Bauarbeiter gibt, die im Pizzabusiness eine lukrativere Geschäftsidee entdeckt haben. Ihre schwieligen Händen bedienen die Rührwendel wie Preßluftbohrer und walzen die Tomatenbestückung fest wie Straßenbelag.

Aber nehmt euch in Acht, ihr Pizzabäcker Potsdams! Verlasst euch nicht länger auf die Ost-Geschichte dieser Stadt, die von Indoktrination und Stillhalten handelt. Diese Zeiten sind vorbei, seit auch die letzten Stasigesichter ans Licht geschwemmt werden. Ich schlucke nicht mehr alles, was man mir vorsetzt. Ziviler Ungehorsam beginnt bei der Pizza!

Unsere Autorin lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Ihr 2007 erschienener Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt zahlreiche Auszeichnungen und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Antje Rávic Strubel

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