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Von Sabine Schicketanz: Eine Fügung des Festivals

Gestern feierte die Berlinale das oscarnominierte Babelsberger Drama „Der Vorleser“

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Es ist die größte Babelsberger Oscar-Hoffnung seit Roman Polanskis „Der Pianist“ – und ein Höhepunkt der diesjährigen Berlinale: Die Romanverfilmung „Der Vorleser“ mit der Britin Kate Winslet, ihrem Landsmann Ralph Fiennes und dem erst 18-jährigen Deutschen David Kross in den Hauptrollen. Gestern Abend hatte der bereits für fünf Oscars nominierte Film von Regisseur Stephen Daldry, für den monatelang in Babelsberg, Berlin und Görlitz gedreht wurde, Premiere im Berlinale-Palast.

Über die Klasse des Films, der beim Festival außer Konkurrenz läuft, bestand gestern weitgehend Einigkeit. Schon nach der Pressevorführung applaudierte das Publikum anerkennend, die Leistungen von Regisseur, Schauspielern, Drehbuchautor David Hare und Romanautor Bernhard Schlink, der demonstrativ mit auf dem Podium saß, wurde auch bei der übervollen Pressekonferenz gewürdigt.

Eine nahezu schicksalhafte Fügung, denn dass es diesen Babelsberger „Vorleser“ gibt, geht zurück auf die Berlinale vor zwei Jahren. Damals war Regisseur Daldry auf Henning Molfenter, Chef von Studio Babelsberg Motion Pictures, getroffen – und Molfenter leistete ganze Arbeit: An einem Sonntag fuhr er mit Daldry in die Filmstudios an der August-Bebel-Straße, zeigte dem Regisseur erste Aufnahmen von den Orten, an denen „Der Vorleser“ entstehen könnte. Mit Erfolg. Daldry entschied sich für Babelsberg, die Studios stiegen als Koproduzent ein, das Medienboard Berlin-Brandenburg und der Deutsche Filmförderfond trugen zur Finanzierung bei. „Ich wollte diesen Film unbedingt machen – und ich wollte ihn hier drehen“, sagte der Brite Daldry. „Es gibt keinen besseren Ort auf der Welt, um einen Film zu machen.“

Der Drehstart allerdings verlief schleppend: Nicole Kidman, ursprünglich als Darstellerin der ehemaligen KZ-Aufseherin Hanna Schmitz verpflichtet, sagte wegen ihrer Schwangerschaft ab, ihr „Ersatz“, Kate Winslet, stieß erst später zum Dreh dazu. Pausiert wurde auch, weil man auf den 18. Geburtstag von David Kross warten musste, erinnert sich Studio Babelsberg-Vizechef Christoph Fisser – ansonsten hätten die Liebensszenen des jungen Schauspielers mit Winslet alias Hanna Schmitz vor allem in den USA Schwierigkeiten bereiten können.

So waren, als sich im vergangenen Jahr der Vorhang für die Berlinale hob, die Dreharbeiten noch in vollem Gange: In Görlitz ließen die Babelsberger Kulissenbauer um Chef Robert Samtleben einen ganzen Block um 50 Jahre altern, die Straße wurde extra neu-alt gepflastert. Für Drehs in der Tram musste der Nahverkehr tagelang umgestellt werden. Die Görlitzer nahmen es jedoch gelassen – und profitieren von dem Film. Der Marketingeffekt sei riesig, sagte Bürgermeister Joachim Paulick. So kamen 2008 ganze 16 Prozent mehr Touristen in die Stadt als im Vorjahr.

Zu ahnen war zur letzten Berlinale bereits, dass Stephen Daldry und Kate Winslet zu Höchstleistungen aufliefen – die deutschen Schauspieler und die Crew, alle schwärmten von der besonderen Atmosphäre, die am Set herrsche. Die hat auch Kate Winslet selbst gespürt. Daldry habe den Rahmen dafür geschaffen, dass sich keiner wichtiger gefühlt habe als ein anderer, sagte sie gestern. Mit Fassung trug sie die Fragen nach den sehr eindrücklichen Liebesszenen mit David Kross und danach, ob sie wohl eine Vorliebe dafür habe, sich vor der Kamera auszuziehen. Das, sagte Winslet, sei zwar nicht der angenehmste Teil ihrer Arbeit, gehöre aber dazu. Vor allem bei einer Liebesgeschichte, die „Der Vorleser“ für sie hauptsächlich sei.

Schlinks Roman, dem sich der Film sehr annähert, erzählt die Geschichte des 15-jährigen Michael Berg (Kross), der sich in die ältere Analphabetin Hanna Schmitz (Winslet) verliebt. Sie haben eine Affäre, die beider Leben verändert – der junge Michael Berg erlebt traumatisiert, wie seine ehemalige, seine erste Geliebte als KZ-Aufseherin vor Gericht steht. Bernhard Schlink findet den Film gelungen: „Man darf nicht erwarten, die eigenen Bilder wiederzufinden. Es sind andere, als ich im Kopf hatte, aber ich bin damit sehr einverstanden.“

Mehr als einverstanden mit dem Werk sind auch die Babelsberger Filmemacher. „Es ist ein unheimlich berührender Film“, so Studiovize Fisser. Und er könnte den Potsdamer Oscar-Rekord brechen. Für den „Pianist“ gab es 2002 drei Trophäen. (mit Jaha)

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