Landeshauptstadt: Eine ganze Stadt voller geheimer Treffs
Wie das Ministerium für Staatssicherheit Potsdam mit einem Netz von Zuträgern und Dienststellen überzog
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Wie das Ministerium für Staatssicherheit Potsdam mit einem Netz von Zuträgern und Dienststellen überzog Fast eineinhalb Jahrzehnte nach der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit bewegt ein Potsdamer „Stasi-Stadtplan“ viele Gemüter. Er markiert 28 MfS-Dienststellen und 1160 konspirative Wohnungen, dazu 57 solcher geheimen Treffpunkte der (politischen) Abteilung K 1 der Kriminalpolizei. Sie überzogen wie ein Spinnennetz das ganze Stadtgebiet. In der leider nur wenige Tage gezeigten Ausstellung der Potsdamer Außenstelle für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU) drängten sich in den Bahnhofspassagen die Besucher um den Plan. Dem Erstaunen über die Vielzahl der Stasi-Einrichtungen folgte die Suche nach dem eigenen Haus: Hatte die „Firma Horch und Guck" auch dort einen Treffpunkt eingerichtet? Handelte es sich um ein Mehrfamilienhaus, erbrachte fast jede Suche einen Treffer. Ihm schlossen sich Spekulationen an, welcher Nachbar wohl der willfährige Helfer des MfS gewesen war. Diese Frage war Anfang 1990 schon einmal gestellt worden, als nach der politischen Wende und vor der deutschen Wiedervereinigung die Furcht vor einer Restauration des Partei- und Sicherheitsapparates der SED aufkam. Auch in Potsdam gab es gegen eine solche Entwicklung eine große Demonstration, zu der das Neue Forum und die SPD aufgerufen hatte. Den Sprecherrat erreichten Anträge, die Namen der Wohnungsmieter öffentlich zu machen, erinnert sich dessen Mitglied Thomas Wernicke. Dies wurde damals abgelehnt, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Ebenso gibt noch heute die BStU die Namen nicht ohne weiteres heraus. Die Mieter, die sich auf eine Nutzung ihrer Wohnung als geheimen Treffpunkt zwischen Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) einließen, haben ihren Nachbarn meist nicht unmittelbar geschadet. Dass sie die Stasi bei der Bespitzelung der Bevölkerung unterstützten, müssen sie in erster Linie mit ihrem Gewissen ausmachen.Wenn allerdings ein Bürger in seiner Stasi-Akte entdeckt, dass er von einer konspirativen Wohnung aus bespitzelt wurde, ist die Herausgabe des „Klarnamens" des Mieters möglich, erklärte BStU-Außenstellenleiterin Gisela Rüdiger den PNN. Was aber hat rund 1200 Potsdamer (Familien) bewogen, ihre Wohnung als Treffpunkt zur Verfügung zu stellen? „In der großen Mehrheit entschieden sich dafür Genossen der SED, aber auch parteilose Bürger, die der DDR eng verbunden und von ihrer Politik überzeugt waren", beantwortete gegenüber PNN ein ehemaliger ranghoher Offizier des MfS diese Frage. Dass wie bei der Gewinnung von IMs auch persönliche Schwächen oder familiäre Probleme genutzt wurden, um Potsdamer unter Druck zu setzen, schloss er aus. „Das hätte die Geheimhaltung der Treffpunkte gefährdet." In den seltensten Fällen wurde eine solche Wohnung ausschließlich durch die Stasi genutzt. Als Beispiel dafür nannte die Ausstellung die Hermann-Elflein-Straße 2. Dort bekam der Führungs-IM „Martin", der mit seiner Familie in der Gontardstraße lebte, unter dem Falschnamen Alfons Eberhardt einen Mietvertrag. Er leitete hier 30 Spitzel in verschiedenen Bereichen an und schrieb seine Berichte. In der Regel lebte in einer solchen Wohnung aber der „ganz normale Nachbar", vielleicht ein kleinerer Funktionär oder ein Volkspolizist, und stellte einen Raum für die konspirativen Treffs zur Verfügung. Dafür erhielt er eventuell einen Mietzuschuss und an Feiertagen ab und an ein Präsent. Auch Auszeichnungen wurden hier übergeben. In jedem der 1160 Fälle wurde eine Legende gestrickt, um die Konspiration zu sichern. So wurden die häufigen Besuche beispielsweise mit Hausunterricht durch den Mieter erklärt oder auch Namensschilder angeblicher Untermieter angebracht. Die Tatsache, dass in jedem Stadtteil flächendeckend eine beträchtliche Anzahl konspirativer Wohnungen bestand, legt die Annahme nahe, dass sie der Bespitzelung der Bevölkerung im Wohnbereich dienten. So war es aber nicht. Vielmehr trafen sich hier die Führungsoffiziere mit IMs aus den verschiedensten Bereichen und Betrieben. Die Wohnungen sollten leicht, aber unauffällig zu erreichen sein. Außerhalb der Wohnbebauung vielleicht in einem einsam stehenden Gehöft waren sie deshalb nicht zu finden. Regel war, je Haus nicht mehr als einen konspirativen Treffpunkt einzurichten. Auch das erklärt ihre Streuung über das gesamte Stadtgebiet. Bei der Betrachtung der konspirativen Wohnungen fällt auf, dass z.B. im Zentrum-Ost sechs große rote Klötzchen auf den Stasi-Stadtplan geklebt sind, die jeweils zehn solcher Treffpunkte symbolisieren. Dazu muss man aber wissen, dass bei der Bebauung in den 70er und 80er Jahren der Trend zu riesigen Wohnblöcken von 400 bis zu 600 Wohnungen ging, die die Einwohnerzahl eines ganzen Dorfes erreichten. Die Staatssicherheit richtete hier höchstens einen Treffpunkt nicht je Haus, sondern je Aufgang ein. Rechnet man nach, ist die Dichte eher geringer als in Gebieten mit mittelgroßen Mehrfamilienhäusern. Das trifft auch auf andere damalige Neubaugebiete wie z.B. an der Zeppelinstraße/Neustädter Havelbucht zu. Deshalb wäre es sicher ungerecht, wenn man den Mietern, die damals eine der hoch begehrten Neubauwohnungen ergatterten, besondere Stasi-Nähe zusprechen wollte. Ein Fehlschluss wäre ebenso, die Häufung konspirativer Wohnungen an Ecken wie der Drevesstraße/Am Brunnen oder der Nordwestseite der Wollestraße nahe dem Babelsberger Park mit überdurchschnittlicher Stasifreundlichkeit zu erklären. Wie dargelegt suchte das MfS von sich aus geeignete Standorte in verkehrsgünstiger Lage mit guten Tarnungsmöglichkeiten aus. Einen fiktiver Stadtrundgang auf den Spuren der Staatssicherheit sollte in der Innenstadt beginnen. Auf dem Polizeigelände an der heutigen Henning-von-Tresckow-Straße erhielt sie nach ihrer Gründung 1951 das erste Dienstgebäude, das mit einem Untersuchungsgefängnis verbunden war. Noch in den 50er Jahren zog sie in das frühere Landgericht an der Hegelallee um, das jedoch ebenfalls bald zu klein wurde. Vorübergehend wurden deshalb Teile der Bezirksverwaltung in die bis 1958 von der Französischen Militärmission genutzten beiden Villen in der Geschwister-Scholl-Straße verlegt. Inzwischen wuchs an der Hegelallee ein für Potsdamer Verhältnisse riesiger Neubau heran. Erst 1989 fertiggestellt wurde dann ein weiterer Block an der Jägerallee. Die Bürgerrechtler, die am 9. Dezember 1989 Stasi-Dienststellen besetzten, wollten diese Gebäude für die Seniorenbetreuung nutzen. 350 Pflegeplätze und 100 altersgerechte Wohnungen hätten hier Platz gefunden, das verdeutlicht die Größe des Komplexes. Das Vorhaben wurde aber aufgeben, weil der Umbau sehr schwierig und teuer geworden wäre. Heute dienen die Gebäude der Stadtverwaltung als Büros. Das ehemalige Landgericht wird nun vom Amtsgericht genutzt und ist nach Entfernen aller Stasi-Zutaten in den letzten Jahren denkmalgerecht restauriert worden. Den höchsten Bekanntheitsgrad aller Potsdamer Stasi-Dienststellen erwarb die Lindenstraße 54/55. Das im 18. Jahrhundert für den Potsdamer Stadtkommandanten erbaute Haus wurde nach 1945 durch den Geheimdienst NKWD und das Sowjetische Militärtribunal genutzt und ab Mitte der 50er Jahre von der Staatssicherheit als Untersuchungsabteilung und Haftanstalt übernommen worden. Es mit derLeidensgeschichte vieler politischer Häftlinge verbunden. Am 12. Januar 1990 wurde es für die neu gegründeten Parteien und Bürgerverbände zur Verfügung gestellt, heute sind hier auch ein Museum zur Geschichte des Hauses und die städtische Denkmalpflege untergebracht. Im Potsdamer Norden lag die Kreisdienststelle des MfS, die für Potsdam-Stadt und -Land zuständig war. Sie war in der Puschkinallee 16 auf dem Gelände untergebracht, das heute der Stadtverwaltung als Kfz.-Stelle dient. Nicht weit entfernt befand sich in der Beyerstraße eine Villa, in der die direkt der
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