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Tradition und Moderne. Gemeinsame Projekte mit Filmhochschulen im Iran gestalten sich schwierig – Ideen sind gefragt.

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Dreharbeiten im Iran: Mit HFF-Studierenden im Ausland unterwegs

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Dokumentaristen beschäftigen sich regelmäßig mit dem Fremden. Mit fremden Menschen, fremdartigen Ereignissen, fremden Subkulturen im eigenen Land. Der Dokumentarfilm zehrt von dieser Erfahrung des Anderen. Das ist ein Grund, warum ich als Professor für Dokumentarfilm mit meinen Studenten gelegentlich Workshops im Ausland durchführe. Das mit Abstand komplizierteste, aber auch spannendste Projekt war ein Austausch mit Filmstudenten aus dem Iran im Jahre 2006. Studierende aus Babelsberg und Teheran sollten den Alltag in der Heimat der jeweils Anderen kennenlernen und ihre Eindrücke aus der persönlichen Perspektive filmisch verarbeiten. Nach längerer Suche hatte ich eine Kunsthochschule in Teheran für eine Partnerschaft ausgewählt, die mir ob ihrer vergleichsweise unbürokratischen Verfahrensweise empfohlen wurde: die Sooreh University.

Wir versuchten, einen Dialog zwischen jungen Filmemachern beider Länder in Gang zu setzen, der – jenseits der drastischen Propaganda auf beiden Seiten – auf menschlichen Kontakten zwischen Filminteressierten beruhen sollte. Um es vorweg zu nehmen: Das ist uns auch tatsächlich gelungen. Wir entwickelten einen Plan, wie wir gemeinsam Kurzfilme im Iran drehen könnten. Dafür mussten zunächst Themen gefunden werden, die angesichts der rigiden Filmzensur überhaupt genehmigungsfähig waren. Dies gelang uns letztlich durch eine enge Kooperation mit den iranischen Dozenten der Partnerhochschule.

Nachdem die deutschen und iranischen Filmstudenten ihre Filmideen entwickelt hatten, folgten die Drehvorbereitungen und das Bemühen um weitere Gelder. Der ZDF-dokukanal wurde als Koproduzent gewonnen. Auch der DAAD und das Kulturzentrum für Islamische Entwicklung „Hozeh Honari“ unterstützten uns. Schließlich konnten zwölf junge Deutsche in den Iran reisen. Was sie über Land und Leute wussten, kannten sie nicht aus eigenem Erleben. Es waren meist nur durch Medien beeinflusste Erwartungen, die jetzt im Team mit den iranischen Kommilitonen auf die Realität trafen, auf eine unbekannte Wirklichkeit, die sich gewohnten Einschätzungen oft entzog.

Wir begannen unsere Arbeit vor Ort mit ersten Probeaufnahmen – und die endeten im Desaster. In einem Park Teherans wollten wir testen, wie frei man im öffentlichen Raum der Stadt Dokumentarfilme drehen kann. Wir – die HFF-Studierenden, eine größere Gruppe einheimischer Filmstudenten mit ihren Dozenten und ich – hatten kleine Filmkameras und Tonbandgeräte dabei und wollten im Park die Leute beobachten und zu ihrem Alltag befragen. Unsere Studentinnen bedeckten ihre Haare vorschriftsmäßig mit Kopftüchern und verhüllten trotz der Hitze auch Arme und Beine. Dennoch dauerte es keine 20 Minuten, bis großes Geschrei losging und sich ein Menschenauflauf um einen iranischen Kamerastudenten bildete. Schnell gesellten sich zu den vielen Neugierigen auch zivile Aufseher oder Wächter, aber das wurde uns erst später klar.

Alle schauten zu, wie ein älterer Mann wütend auf den Kamerastudenten einschlug, der sich heftig wehrte. Ehe ich – geschockt und besorgt – als verantwortlicher Projektleiter eingreifen konnte, war die Polizei schon da. Doch der Kamerastudent schrie wütend weiter und der ältere Mann hörte nicht auf zu prügeln. Was genau passiert war, klärte sich erst viel später auf, als die beteiligten Studenten und mein iranischer Kollege Fahimi von der Polizeiwache zurück kamen. Unabsichtlich hatte der Kameramann einen Jungen gefilmt, der im Park Kaugummis und Bonbons anbot, als der besagte ältere Mann wohl im Hintergrund durchs Bild lief. Daraufhin beschuldigte der den Kameramann, er hätte ihn unerlaubt fotografiert. Die Erklärung war, dass der Junge seine Süßigkeiten im Auftrag dieses Mannes verkaufte, was streng verboten war. Der Mann empfand die Videoaufnahmen als Bedrohung und das wahrscheinlich zu Recht, denn dieser filmische Beweis dürfte ihn tatsächlich ins Gefängnis gebracht haben.

Wir arbeiteten in Teheran unter erschwerten Bedingungen. Es war ein uns unbekanntes Land mit fremder Kultur. Bürokratie, Hitze, Verständigungs- und Technikprobleme machten uns zu schaffen. Nicht jede daheim in Potsdam entwickelte Filmidee ließ sich vor Ort umsetzen. Wir mussten viel improvisieren, ohne auf die vertrauten Ressourcen zurückgreifen zu können. Die Besetzung aller sieben Filmteams war binational – iranisch und deutsch. Kommunikationsprobleme blieben da nicht aus. Doch mit jedem Tag wurden wir routinierter, legten unsere anfängliche Zurückhaltung ab. Als die Anspannung nachließ, sahen wir vieles mit anderen Augen. Wir begannen unseren Aufenthalt in all seinen Facetten zu genießen, gewannen neue Freunde und viele neue Einsichten.

Als wir nach vier Wochen wieder in Berlin landeten, hatten wir sieben kurze Dokumentar- und Spielfilme gedreht. Welche Schätze wir wirklich nach Hause brachten, realisierten wir erst bei der intensiven Arbeit am Schneidetisch. Fünf dieser Dokumentar- und Spielfilme wurden auf dem Max-Ophüls-Festival 2007 uraufgeführt. Die persische Premiere aller Filme folgte wenige Monate später auf dem FAJR International Festival in Teheran, dem wichtigsten Filmfestival des Iran. Das ZDF strahlte alle Filme im dokukanal aus und einzelne Beiträge liefen erfolgreich auf internationalen Filmfestivals – so „Vali Asr – Juli 2006“ unter der Regie von Norman Richter, der in Oberhausen den Deutschen Wettbewerb gewann.

Im Sommer kamen die Iraner zum Gegenbesuch nach Babelsberg. Inzwischen nannten wir unser Projekt „The Bridge“, die Brücke. Diese war zwischen Potsdam und Teheran längst geschlagen. Im September 2008 schlossen HFF und das Sooreh Institute ein Kooperationsabkommen. Davon werden auch weiterhin viele junge Leute profitieren. Die politischen Beziehungen zum Iran sind leider schwieriger geworden. Aber um derartige Vorgänge zu verstehen, macht es für die Studierenden viel Sinn, direkt vor Ort Erfahrungen zu sammeln, auf Reisen zu gehen, ihren Horizont auch sinnlich zu erweitern. Dafür sollten sie alle Möglichkeiten nutzen, die sich ihnen heute bieten – und das sind an der HFF eine ganze Menge.

Klaus Stanjek ist seit 1993 Professor für Dokumentarregie an der Potsdamer Filmhochschule HFF „Konrad Wolf“.

Klaus Stanjek

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