zum Hauptinhalt

Von Anja Sokolow: Eine Kirche als Bibliothek

In dem rund 5000 Einwohner zählenden Städtchen Müncheberg bewährt sich ein ungewöhnliches Konzept

Stand:

Müncheberg ­ Kirchenaustritte, klamme Kassen und fehlender Nachwuchs stellen viele Kirchengemeinden vor die Frage, wie sie ihre Gotteshäuser halten können. Die Not treibt mitunter kuriose Blüten. So verpachtet eine katholische Gemeinde in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) ihre Kirche an Kletterer. Ein Gotteshaus in Bielefeld ist Restaurant und in Milow (Havelland) können Sparkassenkunden ihre Bankgeschäfte in einst sakralen Gemäuern erledigen.

Auch in dem rund 5000 Einwohner zählenden Städtchen Müncheberg (Märkisch-Oderland) bewährt sich ein ungewöhnliches Konzept. Dort wurde die Stadtpfarrkirche allerdings nicht zweckentfremdet. Sie steht Gläubigen weiter offen, in ihr sind aber auch Stadtbibliothek und Seminarräume untergebracht. 80 Veranstaltungen ­ von der Abiturfeier bis zur Stadtverordnetenversammlung sowie Ausstellungen ­ locken jährlich rund 7000 Besucher in das Haus. Eine GmbH, gleichberechtigt getragen von evangelischer Kirchengemeinde, Stadt und Förderverein, organisiert den Betrieb.

Lange war nicht daran zu denken, dass die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Kirche überhaupt je wieder genutzt werden kann. „Die Ruine war fast völlig zugewachsen und jahrzehntelang kaum zu sehen“, erinnert sich die Geschäftsführerin der Betreibergesellschaft, Ingrid Panse. Ein Bundeswehroffizier, der die Abwicklung der Nationalen Volksarmee organisieren sollte, habe die Stadt Anfang der 1990er Jahre wachgerüttelt und den Wiederaufbau mit angeschoben.

Seit 1997 ist die einstige Zisterzienserkirche, die später nach Plänen Schinkels umgebaut wurde, wieder nutzbar. Bibliothek und Seminarräume sind in einem vierstöckigen Einbau untergebracht, der über einen Fahrstuhl zu erreichen ist und einem Schiff ähnelt. Bei der 10. Nacht der offenen Kirchen in Berlin und Brandenburg können Besucher von 20.00 bis 24.00 Uhr auch die besondere Architektur der Müncheberger Kirche bei Führungen und Turmbesteigungen näher kennenlernen.

„Uns war von Anfang an klar, dass die Kirche nur leben kann, wenn Stadt, Bürger und Kirche gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagt Panse. „Die Gemeinde als Eigentümerin hätte das Haus nicht allein tragen können.“ Laut Pastor Dieter Jost war die bisherige Kapelle für die rund 800 Gläubigen eigentlich auch ausreichend. Das Betreibermodell für die wiederhergestellte Kirche sei die einzig mögliche Variante, ein Erfolg und bundesweit einzigartig. „Die Figur einer Betreibergesellschaft ist in der Tat etwas Exklusives“, erklärt auch Martin Ammon, Leiter des Büros der Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland, der das Projekt für sehr „innovativ“ hält.

Für viele Gemeinden der Evangelischen Kirche seien die oft unter Denkmalschutz stehenden Kirchen „große, unhandliche und unrentable Immobilien“. Da das Bewusstsein für den Wert der Häuser aber groß sei, strebten auch viele andere Gemeinden eher Mehrfachnutzungen an, als die Gotteshäuser Restaurant- oder Discobetreibern zu überlassen.

Aus Sicht des Leipziger Religionssoziologen Gert Pickel ist eine Mehrfachnutzung mit Beteiligung der Kommunen der beste Weg und sorgt für eine große Akzeptanz in der Öffentlichkeit. „Auch aus Sicht der Kirche ist diese Strategie sinnvoll. Sie ist nicht ganz verschwunden, sondern schlägt eine Brücke ins Säkulare hinein. Das will sie ja eigentlich“, erklärt der Professor.

Pastor Jost kann das bestätigen. Die vielfältige Nutzung der Kirche habe mehr Nähe und gegenseitiges Interesse der Menschen untereinander gebracht. „Außerdem identifizieren sich die Bewohner der Stadt nun sehr stark mit ihrer Kirche.“ Den Müncheberger Weg hält er in einer Gegend mit nur zwölf Prozent Gläubigen als beispielhaft. „Ich frage mich, warum das Modell nicht weiter verbreitet ist“, sagt Jost. Gleichzeitig räumt er ein, dass es für eine Gemeinde ein großer Schritt sei, die Verantwortung für eine Kirche abzugeben ­ mit manchmal auch unpraktischen Folgen: „Wenn ich Veranstaltungen plane, muss ich Frau Panse erst fragen, ob die Kirche frei ist.“

Anja Sokolow

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })