Potsdam: Eine neue Orgel für die Nikolaikirche
Im Sommer soll sie klingen, die neue Orgel der Nikolaikirche. Am Montag kam der erste Truck mit Tausenden Bauteilen. Die Kirche wird nun zur Sonderbaustelle.
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Potsdam - Zentimeterweise schiebt sich der 40-Tonner rückwärts an die Rampe, einen stabilen, schrägen Laufsteg, der gerade eben passgenau über die Treppe der Nikolaikirche gezimmert wurde. Jetzt kann abgeladen werden. Es ist zwölf Uhr, das Mittagsläuten beginnt gerade. Ein Zufall natürlich, aber er verleiht dem Moment eine sakrale Feierlichkeit. Es ist Montagvormittag und die erste Ladung der neuen Orgel für die Nikolaikirche kommt am Bestimmungsort an. Und langsam legt sich bei Kantor Björn O. Wiede die Aufregung. „Auch ein Kantor erlebt so was, wenn überhaupt, nur einmal im Leben“, sagt Wiede.
Seit Jahren wird in der Gemeinde für eine Orgel gesammelt, die das Instrument, das bis 1945 auf der Empore stand, ersetzen soll. In den letzten Kriegswochen war die Sauer-Orgel komplett verbrannt. In der wieder aufgebauten Kirche behalf man sich seit 1981 zunächst mit Interimslösungen, seit zwölf Jahren mit einer mittelgroßen Konzertorgel im Altarraum. Auch ein schönes Instrument, sagt Björn O. Wiede. Aber jetzt kommt das, was für den Raum eigentlich gebraucht wird. 1,25 Millionen Euro wird das kosten, davon 500 000 Euro aus einer Spende von der Stiftung Preußisches Kulturerbe.
Orgeln könnten über Jahrhunderte halten
Bei der Ausschreibung hatte sich ein Angebot der Firma Kreienbrink in Georgsmarienhütte bei Osnabrück als das beste erwiesen. Dabei werden – ganz nachhaltig – ein Großteil Pfeifen und zwei weitere größere Teile einer ausgemusterten großen Orgel aus Königsmünster in Potsdam wiederverwendet. Das sei kein Problem, sagt Björn O. Wiede. Orgeln, sofern von guter Substanz und gewartet, könnten über Jahrhunderte halten.
Was die Größe des neuen Instruments betrifft, soll dieses Mal ohne Kompromisse gebaut werden, so wie es einer großen Kirche geziemt. Denn während sogar der König seinerzeit sparen musste und statt seiner gewünschten 48 Register nur 26 genehmigt wurden, kommt jetzt der volle Klang: Die neue Orgel hat 55 Register, also miteinander kombinierbare Klangfarben, drei Manuale und Pedal, insgesamt 3600 Orgelpfeifen, von sechs Zentimeter bis 4,80 Meter Länge. Aber es ist wie mit einem Eisberg – nur ein kleiner Teil davon wird zu sehen sein, der große Rest verschwindet in der dafür vorgesehenen Aussparung in der Außenmauer beziehungsweise hinter dem Prospekt, der sichtbaren Schmuckfront aus Pfeifen. Etwa siebeneinhalb Meter breit und gut zehn Meter hoch wird die Orgel insgesamt sein. Vorn reicht sie dann bis auf einen Meter an die Brüstung der Empore heran. Eine Plexiglaswand wird, auch aus Sicherheitsgründen, Spieltisch und Bank einkasteln. Alles wird über eine hochmoderne Elektronik gesteuert. Theoretisch könnte sie sogar alleine spielen, sagt Björn O. Wiede, es gibt eine Speicherfunktion.
Die Orgel wird nun aus 7000 Einzelteilen zusammengebaut
Bis es soweit ist, wird noch mindestens ein halbes Jahr vergehen. In der Zeit wird die Orgel aus etwa 7000 Einzelteilen zusammengebaut. Unter dem Tonnengewölbe steht extra dafür ein Baugerüst samt Arbeitsplattform. Der neue Holzfußboden und das Stahlgerüst, das die Orgel tragen wird, sind bereits aufgebaut, die Stahlträger in der zwei Meter dicken Außenwand verankert. Fast 14 Tonnen Gewicht muss die Konstruktion halten. Am Montag wird noch einmal das Gesims der Empore gefeudelt, dann wird es ernst. Die Kirche ist für diesen Tag für Besucher gesperrt, eine Vorsichtsmaßnahme. Überall liegen Werkzeuge und Kabel herum und bald stapelt sich der Inhalt des großen Lkw im ganzen Kirchenschiff. Alles muss über eine Seilwinde nach oben gebracht werden. Orgelbauer Joachim Kreienbrink und seine vier Mitarbeiter bleiben ab jetzt bis zum Sommer auf Montage vor Ort – Routine für das Team. Aber irgendwie ist der Job in Potsdam doch etwas Besonderes. „Es ist eine tolle Kirche und eine große Orgel“, sagt Firmenchef Kreienbrink. „Früher dauerte so was drei Jahre.“
Kantor Wiede rechnet mit einer Einweihung Ende September. Im Frühsommer wird zunächst der Hauptteil der Pfeifen angeliefert und eingebaut, dann übernimmt der Intonateur. „Die edelste Arbeit beim Orgelbau“, sagt Wiede. Dabei wird der Klang jeder einzelnen Pfeife überprüft und die Orgel gestimmt, sodass die Pfeifen sowohl miteinander als auch in diesem einmaligen Kirchenraum so klingen, wie sie sollen. Wochenlang kann das dauern. Dafür wurde Matthias Ullmann gebucht, der auch die Orgel im Gewandhaus betreut hat.
Führungen zur Orgelbaustelle in der Nikolaikirche
Vor der Kirche versammeln sich gestern Zuschauer – Potsdamer, Gemeindemitglieder und auch Gemeindekirchenratsvorsitzender Dirk Scheinemann –, die beim Entladen zusehen wollen. In den kommenden Monaten sind Führungen zur Orgelbaustelle geplant, sagt Scheinemann, auch Schulklassen haben sich dazu schon angemeldet. „Das ist doch interessant – so was findet normalerweise im Verborgenen statt.“
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