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Schloss Sacrow: Eine Oase in der Nachkriegszeit

Nach 1945 war Schloss Sacrow ein Heim für Naziverfolgte, geleitet von Erna Herrmann. Ihre Kinder erlebten dort eine glückliche Kindheit – und viel Herzlichkeit.

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Kinder und Erwachsene posieren vor dem Schlosseingang und blicken fröhlich in die Kamera. An einer mit weißer Tischdecke gedeckten Tafel im Freien essen Kinder kleine Obstküchlein. Ein Junge füttert ein hübsches weißes Pferd, das seinen Kopf zum Fenster reingesteckt hat. Die Fotos zeigen das Schloss Sacrow und seine Bewohner in den Jahren 1946 bis 1961 und sind in dem 20-minütigen Film „Die Vertreibung aus dem Paradies“, den der Kurator Jens Arndt eigens für die Ausstellung produzieren ließ, zu sehen. Am Samstag lief die Doku auch während eines Vortrags, bei dem Arndt gemeinsam mit Günter Voegele, dem ehemaligen Kastellan des Schlosses, die Geschichte des Schlosses in der Zeit zwischen Weltkrieg und Wende Revue passieren ließen.

Die Fotos stammen aus dem Nachlass von Erna Herrmann, der ersten Heimleiterin des Liselotte-Herrmann-Heims, das nach Kriegsende im Schloss eingerichtet wurde. Dort sollten sich die Opfer des Naziregimes, nicht zuletzt Überlebende der Konzentrationslager, erholen. Ab 1953 bis zum Mauerbau war das Schloss, das ursprünglich 1773 von dem schwedischen Generalleutnant Johann Ludwig van Hordt erbaut wurde, dann ein Schriftstellerheim. Journalisten, Autoren und Lektoren waren zu Gast, darunter Brigitte Reimann, Walther Victor, Herbert Jobst oder Elfriede Brüning.

Den beiden Kindern von Erna Herrmann, Armin Herrmann und seiner Schwester Angelika Gensch, ist es zu verdanken, dass die Ausstellung „Gärtner führen keine Kriege“, die im Schloss Sacrow bereits im vergangenen Jahr lief, wieder aufgenommen und erweitert wurde. Gemeinsam mit ihnen ist auch der Film entstanden, der neben alten Fotos Interviews mit den beiden Geschwistern zeigt. Der Kontakt zu den beiden Geschwistern war ein Glücksfall, wie Günter Voegele erzählt. „Sie besuchten die Ausstellung. Ich hörte sie oben durch das Fenster sich unten im Hof darüber unterhalten, dass sie hier früher gewohnt haben.“ Die Geschwister beherbergten einen wahren Schatz an alten Schwarzweiß-Fotografien aus der Zeit des Heims. Auch drei der alten Gästebücher mit Einträgen und Zeichnungen der Gäste, die der Vater in den 60er-Jahren an das Museum für deutsche Geschichte übergeben hatte, konnten ausfindig gemacht werden. Die Fundstücke beleuchten eindrucksvoll die Zeit von 1946 bis 1961. Dazu kommen die unschätzbaren Kindheitserinnerungen der beiden Geschwister. Armin Hermann war vier Jahre alt, seine Schwester Angelika zwei, als die Familie von Neukölln in das Adjutantenhaus auf dem Gelände des Schlosses zog.

Der Vater und Mutter Erna, einst kaufmännische Angestellte und früheres Mitglied der KPD, übernahmen ab 1946 die Leitung des Liselotte-Herrmann-Heims, das nach Kriegsende im Schloss eingerichtet wurde. Die Eltern trennten sich bald, nachdem die Familie hergezogen war und Erna führte das Heim allein. „Sacrow ist mit wunderbaren Erinnerungen verbunden“, erzählt Armin Herrmann in dem Film. Für die Herrmann-Kinder war Schloss Sacrow „eine ziemliche Oase“, erinnert sich Armin Herrmann, auch wenn es nicht immer einfach gewesen sei.

In der ersten Zeit seien die Menschen, die zur Erholung herkamen, noch in der gestreiften Kleidung, die sie aus den KZs und Lagern hatten, angekommen, erzählte Gensch. Sie hatten furchtbare Dinge erlebt und waren dem Tod entkommen. Dennoch herrschte Fröhlichkeit und Herzlichkeit. „Meine Mutter ist an den Aufgaben gewachsen“, sagt Hermann. „Sie hat sich die Dinge angeeignet. Das Hauptargument für sie hier zu leben war, dass wir hier zu essen hatten und wir in Sicherheit waren.“ Das Haus war zu Anfang noch voller Jagdtrophäen des Generalforstmeisters Friedrich Alpers, der in den letzten Kriegsjahren im Schloss wohnte. Alte Geweihe und Tierköpfe hingen an den Wänden. „Das musste alles weg“, erinnert sich Gensch im Film. „Wir waren frei hier“, sagt sie. „Wenn wir den Gästen auf die Nerven gegangen sind, wurden wir weggeschickt.“ Oft gingen die Gäste mit den Geschwistern baden oder spazieren. An Geburtstagen saßen alle gemeinsam am Tisch. Für die Versorgung sorgten der Gemüsegarten und Kühe, Ziegen und Hühner, die auf dem Gelände gehalten wurden.

Nachdem die Arbeit der sogenannten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in der DDR eingestellt wurde, die für das Erholungsheim mitverantwortlich war, diente das Schloss ab 1953 dann als Schriftstellerheim unter der Riege des Druckerei- und Verlagskontors der DDR. Die Herrmanns konnten bleiben. In der Zeit habe sie viele Bücher geschenkt bekommen, erinnert sich Gensch. Mit dem Schriftsteller Boris Djacenko war Herrmann Schlittschuhlaufen.

Im Spätherbst 1956 machte die Autorin Brigitte Reimann einen Lehrgang in dem Schloss. Ihre Tagebucheinträge aus dieser Zeit wurden später posthum veröffentlicht. Dort berichtet sie von Tischtennispartien und wie die männlichen Kollegen, die auch zu Gast im Schloss waren, sie anschwärmten. Für Erna Hermann schrieb die Schriftstellerin sogar eine Widmung in ihr Buch „Die Frau am Pranger“.

1961 begann der Mauerbau und die Wasserpolizei der NVA übernahm das Areal. Familie Herrmann zog aus. Später ließ das Zollamt der DDR seine Zollhunde und Hundeführer auf dem Gelände ausbilden. Voegele und Kurator Arndt hoffen, noch mehr Zeitzeugen und Zeitdokumente zu finden und die abwechslungsreiche Geschichte des Schlosses zusammensetzen zu können.

Die Ausstellung „Gärtner führen keine Kriege“ läuft noch bis zum 10. September und ist freitags bis montags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 5 Euro.

Sarah Stoffers

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