
© Andreas Klaer (o.)/ Private
Von Henri Kramer: Eine Portion Masochismus
Die Jugend- organisationen der Parteien in Potsdam mischen im Wahlkampf mit – ein Zwischenstand
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Die Sonne brennt. Obwohl sie schon seit Stunden an einem Info-Stand in der Brandenburger Straße für die Grünen wirbt, hat Juliana Wimmer die Lust daran noch nicht verloren. „Ich stehe hier, weil die Grünen meine Interessen vertreten“, sagt die 19-Jährige, die aus Berlin stammt. Jetzt in Wahlkampfzeiten ist die angehende Studentin ehrenamtlich für die Grüne Jugend unterwegs, die Jugendorganisation der Öko-Partei. Das heißt vor allem stehen, jeden Tag an einem anderen Stand, oft in einer anderen Stadt. Gestern nun Potsdam.
Bei Juliana Wimmers Job geht es auch um möglichst fototaugliche Ideen. Gestern hat das erfolgreich funktioniert: Im ABC–Schutzanzug samt Gesichtsmaske haben die jungen Grünen vor dem Brandenburger Tor für den Atomausstieg geworben. In der prallen Sonne mitten in einer belebten Einkaufsstraße ist dabei wohl auch eine Portion Masochismus nötig. „Der beste Lohn sind die positiven Reaktionen“, sagt Juliana Wimmer dagegen. Die Schlagworte ihrer Partei wie „Green New Deal“ kann sie ohne Stocken aufsagen und erklären.
So wie diese überzeugte Grünen-Anhängerin sind alle jungen Wahlkämpfer der etablierten Parteien in diesen Tagen aufgerufen, sich für möglichst viele Wählerstimmen einzusetzen. So sind manche Potsdamer wie der Linke-Nachwuchsmann Ronny Besançon wochenlang auch außerhalb der Stadt unterwegs, er etwa muss dem Linke-Bundestagsmitglied Frank Spieth in Thüringen helfen. Auch in der Landeshauptstadt selbst sind die jungen Parteigänger recht im präsent im Vergleich zu Zeiten, in denen keine Wahl ansteht.
Doch ist die Kraft der Nachwuchs-Schmieden eben auch begrenzt. Die größte Mitgliederzahl hat nach eigenen Angaben die Potsdamer Juso-Gruppe mit gut 200 Sozialdemokraten – scheinbar abgeschlagen folgt darauf die Junge Union mit knapp 70 und die Linksjugend „solid“ mit 40 Mitstreitern. Allerdings dürfte die Zahl der Karteileichen bei diesen Statistiken jeweils deutlich ausfallen, auch weil das Maximalalter beispielsweise bei den jungen Sozis bei 35 Jahren liegt. „Wirklich aktiv sind bei uns circa 25 junge Leute“, räumt David Kolesnyk ein, der stellvertretende Potsdamer Juso-Chef.
Was am aktuellen Wahlkampf noch auffällig ist: Die jungen Parteien setzen zwar verbal durchweg stärker auf das Internet – aber die Auftritte im weltweiten Netz werden diesem Ansinnen nur bedingt gerecht. Den zumindest buntesten Auftritt des Potsdamer Polit-Newcomer liefern dabei die Jungen Liberalen (Julis). Sie setzen augenscheinlich auf die meist junge Internet-Gemeinde, deren Mitglieder in Massenportalen wie Facebook, FlickR oder YouTube aktiv sind. „So wollen wir gezielt Personen mit dem passenden Alter zu bestimmten Themen erreichen“, sagt der 26-jährige Juli-Aktive Kevin Lücke.
Nicht jede Jugendorganisation scheint an das Potential der hippen Kommunikationskanäle zu glauben. Bieder etwa gibt sich die Junge Union (JU) Potsdam. Ein Bild und ein Text ihres Vorsitzenden Hans-Wilhelm Dünn begrüßen die Internet-Nutzer auf der JU-Seite – und am Ende wünscht der 30-Jährige „Viel Sp@ß beim Surfen!“. Noch weniger eigenes Internet-Profil zeigen die Jusos, groß prangen auf ihrer schlicht-roten Seite nur die Gesichter der älteren Spitzenkandidaten aus Potsdam – da ist die Homepage der Juso-Hochschulgruppe an der Potsdamer Universität wesentlich inhaltsreicher, aber eben nur auf Hochschulpolitik beschränkt. Die Grüne Jugend in Potsdam und ihre rund 15 Mitglieder haben noch nicht einmal eine eigene Seite. Dafür können die jungen Kandidaten auf der Seite des Landesverbands vieles fordern: „Abschiebung verhindern!“ oder „Stürzt König Zensur!“ Ähnlich viele Ausrufezeichen gibt es nur auf den Seiten der Linksjugend „solid“: „Nach den Wahlen ist vor den Wahlen – jetzt mitkämpfen statt mitmeckern!“, heißt es im aktuellen Aufruf, bei dem die Bildungspolitik der brandenburgischen Regierungsparteien SPD und CDU massiv angegriffen wird.
Und in diesem Punkt agieren die Polit-Sprösslinge wie ihre Mütter und Väter: Sie streiten um das richtige Konzept, im Wahlkampf live und im persönlichen Gespräch. „Das lässt sich mit dem Internet nicht ersetzen“, sagt Juso-Mann David Kolesnyk. Und nennt seine Termine, etwa eine Nacht-Tour oder einen Stand gegen Extremisten, den die Jusos am Abend vor der Wahl planen. „Solid“ dagegen veranstaltet jeden Freitag im Wahlquartier der Linken in den Bahnhofspassagen eine kostenlose Filmnacht mit Polit-Streifen, die im „solid“-Sinn aufklären sollen. Kleiner fallen die Pläne der Grünen Jugend aus, die zumindest noch einen Film zeigen wollen.
Der Aktionen sind es also einiger, manche mehr kreativ, manche weniger. So haben die Julis die gut frequentierte Sandbar an der Neustädter Havelbucht regelmäßig mit Wahlpartys in Beschlag genommen – und eine Aktion gestartet, die Arbeiter auf Potsdams Baustellen mit kalten Getränken zu versorgen. „Quasi unter dem Motto ’Nicht meckern, sondern unterstützen’“, sagt Kevin Lücke stolz. Auch die JU hat gestern kreativ sein wollen: Junge Christdemokraten haben am Abend in den Bahnhofspassagen gegen die brandenburgische Linke-Spitzenkandidatin Kerstin Kaiser protestiert, die dort auch einen Auftritt hatte. Die JU lehnt die Politikerin ab, weil sie als Studentin zu DDR-Zeiten für fünf Jahre bei der Staatssicherheit spitzelte. Hans-Wilhelm Dünn: „Um Karriere im SED-Staat zu machen, denunzierte sie Freunde und nahm in Kauf, dass diese hierdurch schwere Nachteile erlitten – doch heute will Kerstin Kaiser wieder Karriere machen “ Was Dünn nicht sagt: Kaiser betont seit Jahren, dass sie damals Fehler gemacht hat, die sie noch heute „quälen“.
Von Henri Kramer
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