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Flüchtlinge in Potsdam: Eine Portion Trost

Warum der Potsdamer Gastronom Bülent "Toni" Demir zum muslimischen Opferfest Flüchtlinge bewirtete.

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Potsdam - Ein schwarzer Transporter parkt vor dem zweistöckigen Ziegelbau der früheren Kaserne in Groß Glienicke, in die seit Ende Juli etwas mehr als hundert Flüchtlinge eingezogen sind. „Villa von Haacke“ steht auf dem Auto, der Name des italienischen Restaurants an der Hegel-/ Ecke Jägerallee. Sein Besitzer Bülent Demir, mit Spitznamen Toni, beliefert die syrischen, albanischen und tschetschenischen Bewohner zum Start des muslimischen Opferfestes, dem höchsten islamischen Fest, mit Lammbraten, Kartoffeln sowie Reis mit Mandeln und Mandelbutter.

Er selbst hat am Vortag das nach religiösen Vorschriften geschlachtete Fleisch in Berlin gekauft und mit Hilfe von zwei Köchen im Potsdamer Restaurant zubereitet. Zum Beweis hebt er die linke Hand mit einem im Krankenhaus vernähten Schnitt, den er sich beim Kochen zugezogen hat. Und er lacht. „Für 160 Leute kochen ist eigentlich kein Problem. Wir haben nicht nur Muslime, sondern auch Christen zum Essen eingeladen. Das war uns wichtig.“

Das Lammfleisch hat der Gastronom in Berlin gekauft - geschlachtet nach religiösen Vorschriften

120 Kilo Lamm und je 20 Kilo Kartoffeln und Reis tischt „Toni“ nicht nur auf der langen Tafel in Groß Glienicke auf, sondern auch in der Flüchtlingsunterkunft in der Pirschheide, wo rund 60 Menschen leben. Ein Teil des Fleisches gehe ungekocht an die muslimische Gemeinde der Moschee Am Kanal. „Von dem zerlegten Tier darf ich einen Teil behalten, sechs Teile muss ich verteilen“, beschreibt der Gastronom den muslimischen Brauch, wonach Reiche den Armen abgeben. „Schön, dass so viele Menschen dabei helfen. Das bringt uns zusammen.“

Auch Momen hat sich am Buffet bedient. Der 17-jährige Syrer ist im Juni mit seinem Bruder nach Deutschland gekommen. Dass der Restaurantbesitzer gekocht hat, empfindet er als sehr großzügig – aber auch als Trost. „Hier können wir nicht unseren Traditionen folgen“, erzählt der Heizungstechniker auf Englisch. „In Syrien besuchen wir während des Opferfestes unsere Familien. Wir beten, auf den Straßen wird Spielzeug verkauft, und die Menschen sind neu eingekleidet.“ Nach der Verhaftung eines 16-jährigen Cousins habe seine Mutter ihn aus Syriens Hauptstadt Damaskus weggeschickt. Die Gefahr sei zu groß gewesen, von einer der Kriegsparteien eingespannt zu werden.

Mehr als 100 Flüchtlinge wohnen in Groß Glienicke, die Kinder besuchen die Schule

Auch Momen bedankt sich per Handschlag bei Bülent Demir, und als die Erwachsenen die Schüsseln fast geleert haben, kommt der Nachwuchs mit Ranzen auf dem Rücken zurück. Die meisten der 32 Kinder gingen in die Schule, erzählt Robert Schumann, der die Einrichtung des Internationalen Bundes leitet. Weil die Spenden- und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung so groß sei, hätten alle mit Schultasche ausgerüstet werden können und besuchen nun eine Extra-Klasse der Grundschule Groß Glienicke.

Pläne für eine weitere Not-Unterkunft für Flüchtlinge in der "Preußenhalle" sehen Anwohner skeptisch

Nicht weit davon sieht ein künftiger Bewohner des angrenzenden, neu entstehenden „Villenparks“ in seinem fast bezugsfertigen Haus nach dem Rechten. „Alles in Ordnung“, beschreibt er die Haltung der bislang Zugezogenen zum Flüchtlingsheim. Anfängliche Proteste erklärt er damit, dass man von der Stadt vor vollendete Tatsachen gestellt worden sei. Er sei jedoch dagegen, dass die alte „Preußenhalle“ am anderen Ende der für 180 Häuser konzipierten Siedlung noch mit Flüchtlingen belegt werde. Die Halle als Flüchtlingsheim wäre „der Supergau“, meint der zukünftige Groß Glienicker: „Dann stimmt das Verhältnis beider Gruppen nicht mehr.“ Die Stadt will die Halle wie berichtet allerdings nur im Notfall und als Puffer nutzen, wenn Potsdam zum Beispiel über Nacht eine große Zahl Flüchtlinge aufnehmen müsste. Solch einen Notfallplan hat das Land Brandenburg gefordert.

Isabell Fannrich-Lautenschläger

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