Landeshauptstadt: Eine Stadt wehrt sich
Bürger und Institutionen organisieren langfristige Projekte gegen Rassismus und Rechtsextremismus
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Auf einmal waren die Blumen weg. Fast einen Monat lang haben Vüvüane Borchert und dutzende andere Jugendliche täglich Blumen und Kerzen an die Straßenbahnhaltestelle Charlottenhof gebracht – an den Ort, an dem Ermyas M. in der Nacht zum Ostermontag, dem 16. April, niedergeschlagen worden war. „Wir hatten Mahnwache gehalten, bis Ermyas wieder aus dem Koma erwacht war – danach sind wir aber auch immer mal wieder dort gewesen.“ Doch am vergangenen Freitag war alles weg. Wer die kleine Gedenkstätte geräumt hat, ist bislang nicht bekannt – Straßenreiniger ohne Sensibilität? Rechtsextreme, denen die öffentliche Aufmerksamkeit um das dunkelhäutige Opfer nicht passt? Vüvüane Borchert und ihre Freunde wollen sich davon aber nicht abbringen lassen, weiter an den Fall zu erinnern: „Ende dieser Woche setzen wir uns zusammen und planen neu.“
Auch andere in der Stadt denken darüber nach, welche Lehren aus dem Fall und der bundesweiten Diskussion darüber für Potsdam zu ziehen sind. Allein im Rathaus werden fünf Initiativen geplant. Noch Anfang Juli wird ein eintägiger Workshop im Rathaus zum Thema bürgeramtliches Engagement gegen Rechtsextremismus stattfinden. „Die Frage dabei ist, wie in anderen Städten Europas ganz praktisch mit dem Problem umgegangen wird“, erklärt Dieter Jetschmanegg, Referent des Oberbürgermeisters das Ziel des Treffens, zu dem unter anderem deutsche Vertreter der Europäischen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus erwartet werden. Im Laufe des Jahres soll zudem eine Konferenz mit den sieben Partnerstädten Potsdams organisiert werden, um auch mit ihnen Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus zu diskutieren. Der Termin solle möglichst im kommenden Winter feststehen.
Noch vor der Sommerpause will die Stadt ihre Haltung gegen Rechtsextremismus zeigen: Mit einer Art Neuerfindung des Potsdamer Toleranzedikts aus dem 17. Jahrhundert. „Der neue Text soll auf dessen Basis aufbauen, aber eben auf die heutige Zeit bezogen werden“, sagt Jetschmanegg.
Parallel dazu werden im Rathaus Plakate entworfen. Deren Texte und Motive beruhen auf der 2001 in Eberswalde begonnenen Aktion „Zehn Punkte für Zivilcourage“ unter Schirmherrschaft des Ex-Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD). „Für beide Projekte suchen wir noch Partner in Potsdam, die das Edikt bekannt machen und die Poster bei sich aufhängen,“ sagt Jetschmanegg.
Außerdem will die Stadt die Schulen ermutigen, dass schon einmal aufgenommene Projekt „Schule ohne Rassismus“ endlich auch in Potsdam zu verwirklichen – einen solchen Titel trägt bisher noch keine der hiesigen Schulen. Um bei der bundesweiten Initiative mitmachen zu können, müssten aber die Schüler und Lehrer selbstständig aktiv werden: 70 Prozent aller direkten Angehörigen einer Schule müssen auf Listen unterschreiben. Das genaue Procedere soll allen Schulen vor den Sommerferien noch einmal vom Oberbürgermeister erklärt werden.
Unterdessen ist die praktische Hilfe für die Familie von Ermyas M. weitgehend geregelt – auf dem Spendenkonto des Vereins „Brandenburg gegen Rechts“ waren bis gestern rund 41 000 Euro eingegangen. „Sehr erfreulich ist besonders die Bandbreite der Spender aus allen gesellschaftlichen Schichten“, sagt Vereinsgeschäftsführer und SPD-Landesgeschäftsführer Lars Krumrey. Die Gelder sollen nun je nach Notwendigkeit abgerufen werden können und danach die Öffentlichkeit über die Verwendung informiert werden. „Wir möchten damit dem gewaltigen Vertrauensvorschuss gerecht werden“, so Krumrey.
Es sind solche Gesten und Taten, die die Migranten und ihre Sprecher in der Stadt mit Hoffnung versehen. „Wir müssen uns darüber klar werden, dass es kranke rassistische Auswüchse auch in Potsdam gibt“, sagt die Vorsitzende des Potsdamer Ausländerbeirates, Hala Kindelberger. Solchen Gefahren müsse mit gezielten Vermeidungsstrategien begegnet werden: Eben auf bestimmte Gespräche nicht einzugehen und schnell versuchen zu verschwinden. „Aber wir dürfen dabei nie vergessen, welche positiven Seiten die Gesellschaft hier besitzt.“
Auch die städtische Ausländerbeauftragte Magdolna Grasnick ist beeindruckt davon, wie die Stadt nach der Tat „zusammenrückte“. Sie will ein Gesprächsforum ins Leben rufen, in dem Migranten diskutieren sollen, wie sie das Zusammenleben der Kulturen in Potsdam verbessern können.
Der Verein Black Flower will dies mit einem Multikulti-Café tun, das noch im Sommer eröffnet werden soll – in der Geschwister-Scholl-Straße an der Ecke zur Zeppelinstraße, etwa 200 Meter vom Tatort entfernt. „Natürlich haben wir über die Gefährlichkeit diskutiert“, sagt Vereinschefin Alida Babel. Doch so eine Reaktion sei wichtig: „Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen.“
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