
© Manfred Thomas
Von Jan Brunzlow: Eine Stunde Zahlensalat
Die Verwaltung geht online, um Jugendliche für den Bürgerhaushalt zu begeistern – und gibt Unterricht im Rathaus
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Twittern, Facebook, E-Mail, Telefon oder doch der gute alte Brief? Die Stadt Potsdam hat sich beim Bürgerhaushalt, an dem sich die Potsdamer mit ihren Vorschlägen beteiligen können, auf alle Generationen eingestellt. Um viel Resonanz und somit eine möglichst realistische Skizze des Bürgerwillens zu erhalten werben die städtischen Finanzmitarbeiter auch bei der Generation Lena Meyer-Landrut um Begeisterung für die trockenen Zahlenspiele in den städtischen Aus- und Einnahmelisten. Dabei erhalten die Schüler in einem kurzen Vortrag einen Crash-Kurs in Sachen Finanzwelt einer Landeshauptstadt und erfahren dabei auch, warum das Auto eines Ordnungsamtsmitarbeiters zwar 15 000 Euro kostet, aber in den Büchern nur 1000 Euro eingetragen sind und wann die Stadt ihren Dispo benötigt. Aber nicht jede Frage können die städtischen Mitarbeiter beantworten.
17 Schüler der Goethe-Gesamtschule Babelsberg waren gestern im Potsdamer Rathaus, um eine Stunde Politische Bildung aus erster Hand zu erhalten. „Wie funktioniert die Stadt“ hätte der Untertitel lauten können. „Es war interessant zu hören, wer wie viel Geld ausgibt und wofür“, sagte David, einer der Elftklässler danach. Er hat erfahren, dass die Stadt in diesem Jahr pro Gesamtschüler 55,58 Euro für Lehr- und Unterrichtsmaterial sowie 621,87 Euro für Miet- und Betriebskosten ausgibt. Und er hat erfahren, dass die Stadt nach Jahren der guten Haushaltführung nun in die Miesen rutscht. Bis 2013 wird ein Defizit von 85 Millionen Euro erwartet, bis 2020 könnte sich dieser Wert nochmals verdoppeln. Erst dann wird wieder ein ausgeglichener Haushalt erwartet, sagte Sibylle Strotzer vom Team Bürgerhaushalt. Sie erklärte den Schülern auch, dass man daraus nicht direkt ableiten kann, dass die Stadt 85 Millionen Euro neue Schulden anhäuft. Dabei spiele der Finanzhaushalt auf der einen und der Ergebnishaushalt auf der anderen Seite eine Rolle. Strotzer versucht es in Bildern zu erklären und nimmt dafür eine Geldbörse, ein Buch und ein Auto. Kauft die Stadt ein Auto für 15 000 Euro, so bezahlt sie das sofort aus dem Portemonaie. Ins Buch schreibt sie in diesem Jahr allerdings nur 1000 Euro, denn das Auto soll über 15 Jahre abgeschrieben werden. Der Ergebishaushalt spiegelt also nicht die real in diesem Jahr ausgegebenen Dinge wider. Es gibt Situationen in der Schulstunde, da gucken Schüler interessierter als sie in Wirklichkeit sind
Sibylle Strotzer fordert Vorschläge ein, was ihnen wichtig ist in der Stadt. „Musste denn das mit dem Stadtschloss sein?“, fragte ein Schüler. Könnte da noch was anderes hingebaut werden? Sibylle Strotzer versucht zu retten, was zu retten ist. Das sei keine Angelegenheit der Stadt, die habe nur das Grundstück zur Verfügung gestellt. Der Schüler lässt nicht locker. „Was kostet der Umbau?“, fragte er. Aktuell in diesem Jahr 15,2 Millionen Euro, sagte die Finanzexpertin. Davor waren es weitere mehr als 30 Millionen Euro. Die Schüler versuchen den Zusammenhang zwischen politischer Entscheidung und Bürgerwillen herzustellen. Sie sind der Meinung, keiner braucht das Schloss und die Politik hätte über die Köpfe hinweg entschieden.
Eine Schülerin hebt den Arm. Sie findet es ungerecht, dass sie, jetzt 18-jährig, als Schülerin die Praxisgebühr selbst zahlen muss. Ob sie das auch als Anliegen im Bürgerhaushalt aufschreiben könne. Sibylle Strotzer antwortet tapfer, es falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Stadt, aber sie werde die Anregung an die Krankenkassen weiterleiten. Ein anderer Schüler wünschte sich einen Go-Kart-Verein und eine Bahn in Potsdam, vielleicht auf dem Stadtschlossareal. Ein weiterer fand, Potsdam bräuchte mal eine U-Bahn.
In den kommenden Tagen will Lehrerin Raika Seipold das kommunale Finanzwesen und die Mechanismemn im Unterricht vertiefen. Dann sollen weitere Vorschläge für den Bürgerhaushalt übermittelt werden. Einer wie ihn Dennis hatte. Er meinte, das Kurzstreckenticket des Potsdamer Verkehrsunternehmens sollte weiter gelten, wenn innerhalb der Sechs-Haltestellengrenze umgestiegen wird. Er will die Anregung aufschreiben und warten, ob der Vorschlag umgesetzt wird.
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