Homepage: Einer von der eigenen Sippe Zidane und das Spiel
der Zugehörigkeiten
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Als ein schönes Tier auf einer grünen Savanne, vor dem das Publikum erschauert, habe ein Reporter den ehemaligen französischen Nationalelfspieler Zinedine Zidane einmal beschrieben. Man kenne ihn wild und unberechenbar, als Virtuosen auf dem Platz, als smarten Geschäftsmann und liebenden Familienvater, der es mit harter Arbeit geschafft hat, aus dem Immigranten-Milieu auszubrechen. Der Fußballstar, dessen Eltern aus der algerischen Kabylei stammen, ist eine Identifikationsfigur für zahlreiche Menschen und gilt als Inbegriff einer gelungenen Integration. „Zinedine Zidane und das Spiel mit den Zugehörigkeiten“, so auch der Titel des Vortrages, den die Soziologin Nikola Tietze unlängst am Potsdamer Einstein Forum hielt und der vielmehr eine Lesung ihres gleichnamigen Essays war.
„Die Darstellungen in den Medien ergeben das Bild einer schillernden Figur, die unterschiedliche Angebote unterbreitet, sich zu ihr in Beziehung zu setzen und Zugehörigkeit zu konstruieren“, sagte Nikola Tietze. Mit Fußball kann die Soziologin vom Hamburger Institut für Sozialforschung eigentlich nichts anfangen. Auf das Thema „Zidane“ war sie zufällig gestoßen, als sie für ihre mit dem Norbert Elias Preis prämierte Dissertation junge Muslime aus Deutschland und Frankreich interviewte. Häufig sahen diese in Zidane ein Vorbild oder einen Menschen, der in irgendeiner Weise zu ihnen in Beziehung steht und damit Teil ihrer Gemeinschaft ist. Ein Hamburger Muslim etwa bewunderte Zidane, weil er den Jugendlichen mit seinem Familiensinn gewisse Werte vermittele, die es nicht mehr so häufig gebe. Einem Studenten aus Frankreich, der aus der algerischen Kabylei stammt, reichte Zidanes Herkunft, um ihn als einen der Seinen zu sehen. „Wahrscheinlich spricht er kein Wort kabylisch und trotzdem bin ich stolz, dass er zu meiner Sippe gehört“, sagte er. „Endlich zeigt er allen, dass es nicht nur Original-Franzosen in Frankreich gibt. Das beweist, dass wir ein Teil der Gesellschaft sind“, so eine französische Muslimin.
Egal ob Fußballidol oder Privatmensch, die Figur des Zidane steht immer als Teil der Gemeinschaft im öffentlichen Interesse. Seine Tore habe er für Frankreich geschossen, sein Geld spende er für humanitäre Zwecke. „Der Fußballkünstler dient allen, die an seine einmalige schöpferische Kraft glauben, als lebende Projektionsfläche für ein Wir“ der Auserwählten“, so Nikola Tietze.
Nur für einen kurzen, schockierenden Moment sei Zidane aus der Gemeinschaft heraus zum Individuum geworden: Als er mit dem Kopfstoß beim WM-Finale 2006, zehn Minuten vor dem offiziellen Ende seiner Karriere, dem Italiener Marco Materazzi wegen einer persönlichen Beleidigung ins Brustbein donnerte. Die wenigen Zuhörer im Einstein Forum hatten scheinbar gehofft, das Geheimnis darum endgültig entschlüsselt zu bekommen. Etwas hilflos sah sich Nikola Tietze mit Fragen konfrontiert, warum Zidane etwa nur das Brustbein des Italieners, nicht aber sein Gesicht getroffen habe. Der Kopfstoß habe bei ihren Forschungen nie im Vordergrund gestanden: „Wenn überhaupt, hat er mich davor bewahrt, die Zugehörigkeitskonstruktionen zu idealisieren.“ Marion Schulz
Marion Schulz
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