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Außenminister Joschka Fischer eröffnete Berlin-Potsdamer Studiengang „Internationale Beziehungen“
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Außenminister Joschka Fischer eröffnete Berlin-Potsdamer Studiengang „Internationale Beziehungen“ Von Jan Kixmüller Der Campus wird größer. In jeder Hinsicht. Zum einen knüpft der neue Masterstudiengang „Internationale Beziehungen“ zwischen der Universität Potsdam, der FU und der Humboldt Universität Berlin ein länderübergreifendes Netz, und zum anderen gehen die Internationale Beziehungen weit über den Berlin-Brandenburgischen Horizont hinaus. So weit, dass kein Geringerer als Bundesaußenminister Joschka Fischer am Mittwoch vor den Studierenden den Eröffnungsvortrag an der FU Berlin hielt. Was bescheiden als Vortrag zur „Weltpolitik im 21. Jahrhundert“ angekündigt war, relativierte der Grünenpolitiker sogleich zu „einigen Anmerkungen“, die dann doch fast eine Stunde in Anspruch nahmen, letztlich zur tief greifenden Analyse der Weltpolitik wurden und definitiv kein Vortrag waren, sondern vielmehr ein politisches Seminar im Zwiegespräch mit den Studierenden. Wesentliche Fragen Für so etwas braucht Fischer kein Manuskript. Er reißt das auch nicht als Pflichttermin nebenher ab. Er ist voll bei der Sache und bestens aufgelegt, hat er doch gerade erst dem iranischen Atomwaffenprogramm einen Riegel vorgeschoben und wird am gleichen Tag noch nach einem Gespräch mit seinem israelischen Amtskollegen das Ende der Gewalt im Nahen Osten fordern. Fischer kann in einer Rede gedanklich umherspringen als hätte er den Text vor Augen, Sätze endlos verschachteln, um Minuten später dann doch wieder mit intelligenter Bravour am Ausgangspunkt zu landen. Spätestens das Krächzen in seiner Stimme verrät, wie ernst er diesen Termin nimmt. Er schält die wesentlichen Fragen der Welt im 21. Jahrhundert heraus und kommt zu dem Schluss, dass ein ausbalancierter Multilateralismus die einzig sinnvolle Konsequenz aus dem Ende des bipolaren Ost-West-Systems ist. Die Schutzschilder gegen Eier- und Tomatenwürfe, die von der Polizei zuvor unter das Podest geschoben worden waren, sind völlig überflüssig. Kein Protest, kein Tumult, Fischer steckt sie alle ein, auch die Globalisierungsgegner im Publikum, und sogar dann, wenn er – Gegner des Irak-Krieges – die Rolle der USA für Frieden und Stabilität in der ganzen Welt als „unverzichtbar“ bezeichnet. Jetzt versteht man, wieso Fischer beliebtester Politiker im Lande ist: er analysierte tiefgehend, punktgenau und ist dabei vor allem eins: ehrlich. Mit zerkniffener Miene sagt er an mancher Stelle: „Hier habe ich noch ein Fragezeichen.“ Etwa bei der Frage, ob die Globalisierung nur eine Episode der Weltpolitik oder doch ein einschneidendes Kapitel dieser ist, wie etwa die Kolonialisierung und die Industrialisierung – wobei er zu letzterem tendiere. Sein nach außen gekehrtes inneres Ringen um die richtige Antwort ist es, was Fischer glaubhaft macht. Sogar dann, wenn er die Kritik der Universitäten an der mangelnden Finanzierung damit beantwortet, dass man aus leeren Kassen nichts mehr verteilen könne. Fischer schlägt den Studierenden ein Rollenspiel vor, um die Lage der Entscheidungsträger zu verdeutlichen. Jeder Schritt ziehe mindestens zehn weitere nach sich. Das Rollenspiel lässt dann nicht lange auf sich warten. Als eine Studentin nach der Haltung zur chinesischen Tibet-Politik fragt, verwickelt er sie flugs in einen diplomatischen Diskurs: „Sie sind jetzt Joschka Fischer und ich der chinesische Außenminister!“ Schnell sind die beiden an einem Punkt, wo sich nichts mehr bewegt. „Und was nun?“, kläfft Fischer, der sich sichtlich warm gespielt hat. Der Studentin sind die Argumente ausgegangen und allen ist klar geworden: Politik ist nicht so einfach, wie es im Fernsehen aussieht. Die Medaille hat immer zwei Seiten, mindestens. Fischer umreißt sein Weltbild in einem atemberaubend klarsichtigen Ritt durch die Geschichte. Schließlich das Ende der zwei Supermächte nach 1989 als entscheidender Einschnitt, die USA als einzig global dominierende Weltmacht, neben der die Regionalmächte den zweiten Rang einnehmen. Und dann der 11. September 2001, der Angriff aus dem „Kellergeschoss“, wo die von Bürgerkriegen und Armut zerfressenen restlichen Staaten siedeln. Die Gefahr dabei: nicht Staaten verübten den Angriff auf die Zivilgesellschaft und den freien Welthandel, sondern terroristische Strukturen. Die Konfrontationslinien sind neu und vollkommen unbekannt. Echte Teilhabe Fischer hat einen Albtraum, nämlich dass religiöser Hass, nationalistische Konfrontation, Massenvernichtungswaffen und Terrorismus zusammenkommen. Er sagt zwar, dass die Welt heute sicherer ist, als zum Ende des Zweiten Weltkrieges, doch die Bedrohung bleibt. Dahinter steht für ihn eine zentrale Frage: Wie es kulturell, ökonomisch und politisch möglich sei, in einer über die sechs Milliarden Menschen hinauswachsenden Welt „echte Teilhabe“ für alle zu erreichen. Fischers Antwort: „Nur ein multilateraler Ansatz kann Frieden und Stabilität erreichen.“ Echte Globalisierung könne nur auf Demokratie, Menschenrechten und Gleichheit basieren. Gefordert sei hier das Staatensystem, an erster Stelle die Vereinten Nationen. Wobei man die Androhung von militärischer Gewalt gegen Abtrünnige als letztes Mittel niemals ausschließen könne. Schließlich fordert Fischer die angehenden Politikwissenschaftler auf, an seinem Modell des Multilateralismus mitzuarbeiten und lädt den neuen Studiengang zu sich ins Auswärtige Amt ein. Brandender Applaus. Auch aus den Reihen, die zuvor noch zaghaft den Pazifismus ins Feld geführt hatten. Fischer überzeugt eben einfach.
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