„Wem kann ich noch was zu trinken anbieten?“ Professor Jutta Bott steht an einem schwülen Mainachmittag vor ihren Seminarteilnehmern. Etwa zwei Drittel von ihnen sind älter als die Dozentin – ein ungewohntes Bild. Trotz des gefühlten Hochsommers sind 15 Teilnehmer in den Raum der Fachhochschule Potsdam (FH) in der Friedrich-Ebert-Straße gekommen. Nur die angekündigte Referentin, eine leitende Pflegekraft eines Seniorenheims, verspätet sich.
Deshalb wird das Seminar theoretisch-soziologisch. „Eine Ausnahme“, erklärt Bott später. Auf das 14-tägig stattfindende Seminar bereite sie sich anders vor als auf andere Kurse: Es gehe darum, „das Gespräch in Gang zu bringen“, erklärt sie.
Das scheint an diesem Tag allerdings kein Problem zu sein: Die Ausgangsthese „Das Alter ist weiblich“ können die Teilnehmer mit ihren Erfahrungen in Pflegeheimen bestätigen: Dort seien Männer in der Minderzahl, so der Seminar-Konsens. Dann legt Studentin Nadine Krüger eine Folie mit Abbildungen zur Alterstruktur auf. Und richtig: Die Alterspyramide der Brandenburgischen Bevölkerung aus dem Jahr 2004 macht den „Frauenüberschuss“ jenseits der 58 sichtbar.
„Die Zahlen zeigen aber, dass es die Männer sind, die die Frauen ins Pflegeheim bringen“, wirft eine ältere Dame ein. „Das ist eine Hypothese!“, gibt der Herr ihr gegenüber zu bedenken. Dass die Frauen älter würden, das sei auch früher so gewesen, erklärt der 77-Jährige. Er selbst stelle außerdem an sich zunehmend „weibliche Eigenschaften“ fest. Die Dozentin Jutta Bott bestätigt, dass es Soziologen gibt, die das Alter als „Negation von Männlichkeit“ definieren. Weil der Beruf als typisch männliches Tätigkeitsfeld wegfalle, gerieten aus Sicht der Psychoanalyse Männer im Alter häufig in Depressionen, referiert sie weiter.
Den beiden älteren Herren im Raum steht der Widerspruch ins Gesicht geschrieben. Nun stellen sie sich tapfer der Frage, ob sie sich in der soziologischen Beschreibung „wiedererkannt“ haben. „Es ist schön, dass ich das alles hinter mir habe“, erzählt Günther Nedtwig offenherzig.
„Ich finde das ganz toll“, sagt Nadine Krüger hinterher. Die 25-Jährige studiert Soziale Arbeit. An den älteren Kommilitonen überrasche sie die Ehrlichkeit: „Wenn man sie fragt, kriegt man ehrliche Antworten“. Sie seien „einfacher als unsere Eltern“. Trotzdem gebe es „Annäherungsschwierigkeiten außerhalb“.
„Es geht mir auch um ein Stück Menschenbildung“, sagt Prof. Jutta Bott. Das Seminar an der Potsdamer Fachhochschule läuft bereits im dritten Semester. Ganz so voll wie am Anfang ist es nicht mehr: 70 Ältere und 20 Studenten seien zunächst dabei gewesen. Heute gebe es einen Kern von 20 Teilnehmern. Immer noch ist das Interesse der Älteren größer als das der Studierenden. Jana Haase
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