Landeshauptstadt: Eingebrannte Angst
HIV-Positive und Aidskranke werden immer noch ausgegrenzt – manchmal sogar von Ärzten
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Obwohl sich die Folgen einer HIV-Infektion heutzutage durch Medikamente weitgehend kontrollieren lassen, haben es Betroffene nach wie vor oft schwer, ein weitgehend normales Leben zu führen. Auch mehr als 30 Jahre nachdem Aids als eigenständige Krankheit anerkannt wurde, ist das Thema in der Gesellschaft mit Vorurteilen besetzt, führen Unwissenheit und Berührungsängste zu Diskriminierung. „Die Angst hat sich tief eingebrannt“, sagt Sabine Frank, Leiterin der Potsdamer Aids-Hilfe. Ob beim Arzt, auf der Arbeit oder sogar in der eigenen Familie – Ablehnung gehöre für HIV-Positive immer noch zum Alltag, bestätigt Frank. Nicht selten seien die mit der Krankheit verbundenen Schreckensbilder so tief verwurzelt, dass selbst die Betroffenen die Ausgrenzung als gegeben hinnehmen würden.
Wie weit die Diskriminierung reicht, zeigt eine Umfrage der Deutschen Aids-Hilfe. In knapp 1200 Interviews mit HIV–Patienten, die in diesem und im vergangenen Jahr bundesweit geführt wurden, gaben 19 Prozent der Befragten an, dass ihnen wenigstens einmal in den vergangenen zwölf Monaten ein Gesundheitsdienst verweigert worden sei, vor allem von Zahnärzten und Gynäkologen. Rund 18 Prozent davon hatten außerdem angegeben, nach dem negativen Erlebnis auf einen zweiten Anlauf verzichtet zu haben.
Auch Frank und ihr Team kennen solche Berichte, können den Betroffenen dann aber zumindest Praxen empfehlen, in denen HIV-Positive vorbehaltslos behandelt werden. Zweimal in der Woche, jeden Montag und Mittwoch, bietet die Potsdamer Aids-Hilfe individuelle Beratungen an, jeden dritten Donnerstag besteht die Möglichkeit, sich per Schnelltest auf eine HIV-Infektion testen zu lassen. „Kostenlos und anonym“, versichert Frank. Derzeit betreut die Anlaufstelle insgesamt 70 Klienten. Etwa alle zwei Wochen treffen sich einige von ihnen in der Einrichtung an der Kastanienallee zum gemeinsamen „Rote-Schleifen-Frühstück“. Das Altersspektrum reicht von 19- bis zu 70-Jährigen. „Der größte Teil der Betroffenen ist aber zwischen 30 und 50 Jahre alt“, schränkt Frank ein.
Viele Klienten kommen mit konkreten Anliegen, wollen etwa wissen, wie sie einen Behindertenausweis beantragen können oder ob sie ihre HIV-Infektion ihrem Arbeitgeber melden müssen. Wer aber erst vor Kurzem positiv getestet wurde, sei in der Regel am Boden zerstört und völlig verzweifelt, berichtet Frank. „Die haben sofort den Tod vor Augen.“ In dieser Situation sei es das Wichtigste, Vertrauen aufzubauen, meint die professionelle Helferin. Allerdings erschwere die weit verbreitete, teils diffuse Angst vor HIV und Aids es den Betroffenen zusätzlich, mit der Krankheit klarzukommen. „Die Neigung zur Selbststigmatisierung ist groß.“
Einige der Ängste und Vorurteile haben nach Franks Ansicht ihren Ursprung im teils von Panik gezeichneten Umgang mit dem Thema zu Beginn der Epidemie, als eine HIV-Infektion noch einem Todesurteil gleichkam. Dem müsse entgegengesteuert werden, findet die Leiterin der Potsdamer Aids-Hilfe. In Umfragen etwa sprach sich damals etwa eine Mehrheit dafür aus, Aids-Kranke mit niemanden sonst außer mit dem medizinischen Personal in Kontakt kommen zu lassen. sogar in seriöse Tageszeitungen warnten Ärzte vor einer Ansteckungsgefahr in „Schwimmbädern, Saunen, Stränden, Turnhallen“. „Die Aufgabe heute muss deshalb lauten: Entängstigung und Prävention.“ Wie groß das Unwissen in der Gesellschaft teilweise ist, stelle sie etwa immer wieder fest, wenn sie auf der Straße Spenden sammele. „Ich treffe dann oft auf Leute, die die rote Schleife ablehnen, weil sie glauben, die Schleife würden nur HIV–Positive und Aids-Kranke am Revers tragen.“
Hoffnung macht Frank der Umgang mit dem Thema in der jüngeren Generation. Etwa 60-mal im Jahr ist die Potsdamer Aids-Hilfe an Schulen, um Aufklärungsarbeit zu leisten. „Die jungen Leute sprechen heute viel offener über Sex und Verhütungsmöglichkeiten. Allerdings spielen dabei oft ungewollte Schwangerschaften eine größere Rolle als die Aids-Vorsorge“, schildert Frank ihren Eindruck.
Nachholbedarf in Sachen Aufklärung sieht die Sozialarbeiterin bei vielen Einwanderern. „Mehr als 40 Prozent unserer Klienten haben einen Migrationshintergrund“, sagt Frank. Fast alle kommen aus Afrika. Um einen zusätzlichen Ausbreitungsweg von HIV im Land Brandenburg zu meiden, wäre es hilfreich, wenn sich möglichst viele Flüchtlinge vor allem aus afrikanischen Ländern bereits frühzeitig bereit erklären würden, einen HIV-Test machen zu lassen. In der Zentralen Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt sei zwar eine medizinische Erstuntersuchung vorgesehen, aber ein HIV-Test werde nicht grundsätzlich angeboten. „Vielleicht sollte man Menschen aus Ländern mit einer besonders hohen HIV-Rate in ihrer Muttersprache versuchen zu überzeugen, sich testen zu lassen“, meint die Leiterin der Aids-Hilfe Potsdam. Matthias Matern
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