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SERIE: Einige hundert Milliarden Sterne Stern Stunde

Das unbekannte Wesen – von unserer Heimatgalaxie der Milchstraße sind auch heute noch viele Eigenschaften nicht bekannt

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Im gegenwärtigen Jahr der Astronomie berichten Potsdamer Astrophysiker regelmäßig in den PNN von ihren liebsten Himmelskörpern.

Schaut man in Potsdam nachts zum Himmel hoch, so sieht man selbst in einer klaren Nacht nur die hellsten Sterne. An entlegenen Orten in Australien, Chile oder Arizona, dort wo wegen der exzellenten klimatischen Bedingungen astronomische Großsternwarten beheimatet sind, erstreckt sich über den Himmel majestätisch das Band der Milchstraße. Teilweise leuchtet sie so hell, dass sie Schatten wirft.

In der griechischen Sagenwelt legte Zeus seinen unehelichen Sohn, den Halbgott Herakles, an die Brust seiner schlafenden Ehefrau, der Göttin Hera, um Herakles göttliche Kräfte zu geben. Aber Herakles saugte mit solcher Kraft, dass Hera erwachte und das fremde Kind wegstieß – und ein Strahl ihrer Milch ergoss sich über den ganzen Himmel.

Schon der Grieche Demokrit vermutete im Jahre 400 v.Chr., dass die Milchstraße aus vielen, weit entfernten Einzelsternen bestehe, ein Bild, das Galileo Galilei vor 400 Jahren mit dem Fernrohr eindrucksvoll bestätigen konnte. 180 Jahre später zeigte der Astronom William Herschel, dass die Milchstraße von scheibenartiger Form ist. 1904 entdeckte Johannes Hartmann schließlich mit dem neu in Betrieb genommenen Großen Refraktor auf dem Potsdamer Telegraphenberg, dass auch der Raum zwischen den Sternen nicht leer ist. In ihm befindet sich das interstellare Gas. Wie wir heute wissen, entsteht etwa jedes Jahr daraus ein neuer Stern.

Jedoch blieb lange umstritten, wie groß die Milchstraße ist und ob die Sonne in ihrem Zentrum oder weit draußen in ihren Randgebieten liegt. Erst die Einführung moderner Großsternwarten in den Zwanziger Jahren konnten diesen Disput klären: die Milchstraße ist eine Ansammlung von einigen hundert Milliarden Sternen in einer gewaltigen, von Spiralarmen durchdrungenen Scheibe mit einem Durchmesser von etwa hunderttausend Lichtjahren. Die Sonne selbst befindet sich in einem ihrer Spiralarme, etwa 25 000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt. Umgeben ist die Milchstraße von einem um ein Vielfaches massereicheren Halo aus so genannter Dunkler Materie. Die Klärung der Beschaffenheit dieser Dunklen Materie gilt als eine der wichtigsten Herausforderungen der Naturwissenschaften.

Auch heute sind grundlegenden Eigenschaften unserer Heimatgalaxie nur ungefähr bekannt. Wir wissen über Masse, Ausdehnung und Rotationsgeschwindigkeit unserer Milchstraße weit weniger als von anderen Galaxien wie beispielsweise der Andromedagalaxie, unserem kosmischen Nachbarn. Das liegt daran, dass wir im Inneren der Galaxis sitzen: Die Milchstraße ist überall um uns herum. Für eine genaue Vermessung sind aufwändige Durchmusterungen des kompletten Nachthimmels notwendig. Groß angelegte Projekte werden diese Wissenslücke jedoch in den nächsten Jahren schließen. So wird die vom Astrophysikalischen Institut Potsdam koordinierte Durchmusterung RAVE (für Radial Velocity Experiment), die Geschwindigkeiten und chemischen Häufigkeiten von insgesamt einer Millionen Sterne der Milchstraße vermessen. Der europäische Satellit GAIA soll fünf Jahre lang ab seinem Start im Jahr 2012 gar eine Milliarde Sterne ins Visier nehmen.

Besonderes Interesse wurde in den letzten Jahren dem Zentrum unserer Milchstraße zuteil, vermutet man doch darin schon seit Jahrzehnten ein so genanntes supermassives Schwarzes Loch. Ein solches Objekt hat eine Masse, die mehreren Millionen Sonnen entspricht und in einem so kleinen Gebiet komprimiert ist, dass durch die Schwerkraft nicht einmal Licht von seiner „Oberfläche“ entkommen kann. Daher der Name „Schwarzes Loch“, denn natürlich kann man so ein Objekt nicht sehen. Seine Existenz erkennt man aber an den gewaltigen Schwerkräften, die die Bahnen von Sternen in der Umgebung des galaktischen Zentrums beeinflussen.

Unsere Milchstraße bildet zusammen mit der Andromedagalaxie die sogenannte lokale Gruppe. Die beiden Galaxien werden dabei von zahlreichen Satellitengalaxien umkreist. Die bekanntesten davon sind die auf der Südhalbkugel mit bloßem Auge sichtbaren Magellanschen Wolken. Die Satellitengalaxien sind deshalb besonders interessant, weil man sie als die Grundbausteine ansieht, aus denen die Milchstraße Stück für Stück aufgebaut wurde. Die Untersuchung der Entstehungsgeschichte unserer Milchstraße aus den Eigenschaften ihrer Satelliten bezeichnet man folglich auch als „galaktische Archäologie“. Auch hier konnten große Himmelsdurchmusterungen unser Bild der Milchstraße ändern: etwa die Hälfte der bekannten Satellitengalaxien um unsere Milchstraße wurde in den letzten fünf Jahren entdeckt!

Aber die Tage unserer Milchstraße sind gezählt: Mit über 125 Kilometer pro Sekunde bewegt sie sich auf die Andromedagalaxie zu. In einigen Milliarden Jahren wird sie mit ihr zusammenstoßen und verschmelzen. Eine bessere Bestimmung dieses Zeitpunkts verlangt ebenfalls eine genaue Vermessung der Milchstraße. Auch 400 Jahre nach Galileo bleibt somit die Milchstraße weiterhin eines der spannendsten Forschungsgegenstände in der Astronomie.

Der Autor ist Wissenschaftlicher Vorstand des Astrophysikalischen Instituts Potsdam. Seine Forschungsinteressen fokussieren sich auf Entstehung und Aufbau der Galaxien.

Matthias Steinmetz

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