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Etwas HELLA: Einsam unter Experten

Es ist schwer, ein Außenseiter zu sein und nicht dazuzugehören zur großen glücklichen Masse. Ich halte es kaum noch aus und erwäge deshalb – wenn auch unter großem inneren Widerstand – mir schwarz-rot-goldene Farbe ins Gesicht zu schmieren, meine Fahrradspiegel (ich habe leider kein Auto mehr) in den Farben der deutschen Fußballmannschaft anzupinseln oder doch zumindest Schmutzfänger in Schwarz-Rot-Gold um die Radnaben zu ringeln.

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Es ist schwer, ein Außenseiter zu sein und nicht dazuzugehören zur großen glücklichen Masse. Ich halte es kaum noch aus und erwäge deshalb – wenn auch unter großem inneren Widerstand – mir schwarz-rot-goldene Farbe ins Gesicht zu schmieren, meine Fahrradspiegel (ich habe leider kein Auto mehr) in den Farben der deutschen Fußballmannschaft anzupinseln oder doch zumindest Schmutzfänger in Schwarz-Rot-Gold um die Radnaben zu ringeln. Eigentlich bin ich ja ein bekennender Fußballmuffel, aber ich fühle mich so einsam selbst unter den engsten Freunden, werde ausgegrenzt, muss mir blöde, wenn nicht sogar diffamierende Sprüche anhören und trete in alle möglichen Fettnäpfchen, weil ich die einfachsten Spielregeln missachte. Habe ich doch zum Beispiel am Montagabend mit meinem Sohn telefoniert, um mich als Haushaltshilfe anzubieten. Was sagt der? „Wieso rufst du jetzt an, guckst du keinen Fußball???“ Die drei Fragezeichen wurden hörbar mitgesprochen und hatten einen leichten Beiklang von Empörung.

Ich schalte nun täglich die Sportnachrichten ein, um auf dem Laufenden zu sein und wenigstens so zu tun als ob. Aber Außenseiter wie ich treffen nie den richtigen Ton. Mein „Na bitte, unsere Jungs sind doch viel besser als erwartet“ war völlig daneben. Da wurde Euphorie erwartet und nicht lahmer, leicht skeptischer Beifall. Und natürlich lief auch in meiner Kinokneipe, in der ich nach dem Film ein entspannendes Glas Rotwein trinken wollte, na was schon – Fußball. Verzweifelt habe ich mitgejubelt, bei jedem Tor, das fiel. Aber auch das war falsch und eine langjährige Kinofreundschaft liegt jetzt erst einmal auf Eis. Den Versprechungen von Gastwirten, es gebe bei ihnen eine fußballfreie Zone, darf man schon längst nicht mehr trauen. Leider mehren sich aber auch meine Befürchtungen, dass anderswo Kultur ganz und gar ausfällt, weil Deutschland viel besser spielt als erwartet. Womöglich reicht es bei Tom Jones während des Stadtwerkefestes nur noch zu „Fußball ist unser Leben“?

Glücklicherweise hat sich die Fanmeile am Brandenburger Tor in Potsdam nicht bewährt. Nicht nur ich, sondern auch die Gastwirte und Händler waren dagegen, dass dort Dauerstau produziert wurde und die Einnahmen sanken. Aber es ist ja nichts Neues, dass sich auch König Fußball vor dem Geld verneigt.

Natürlich drücke ich nicht die Daumen, dass die deutsche Mannschaft danebenhaut und ich eher als geplant meine Ruhe habe. Ich will doch nach der WM meine alten Kontakte wieder aufnehmen und nicht vorzeitig gelyncht werden. Aber falls mich jemand fragt, wieso ich denn keinen Fußball gucke, wo das doch gerade alle tun, werde ich erklären, dass ich Turmspringen und Gesellschaftstanz bevorzuge. Und glauben Sie mir, dann habe ich für eine Weile meine Ruhe.

Falls aber auch bei mir etwas Rundes ins Eckige kommt, dann ist das wahrscheinlich eine Pizza, die ich in den Ofen schiebe, denn fußballfreie Gaststätten... Na, Sie wissen schon. Für Hinweise, falls es tatsächlich noch eine gibt, wäre ich jedoch dankbar. Es muss nicht mal Turmspringen über die Mattscheibe flimmern.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam.

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