Sport: Eitles Herz
Wie Hertha BSC Ronny überzeugte, seinen Vertrag zu verlängern – und warum das auch ein Wagnis ist
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Berlin - Eine Viertelstunde nach dem Abpfiff hatte der auf dem Feld so forsche Peer Kluge wieder in den Bedenkenträgermodus umgeschaltet. Vier Punkte aus sechs Spielen brauche die Mannschaft nach dem 3:0 gegen den ersten Verfolger Eintracht Braunschweig jetzt noch, um den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga auch rechnerisch perfekt zu machen, sagte der Mittelfeldspieler von Hertha BSC. „Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen“, fuhr Kluge fort. „Aber mit 51 Prozent sind wir schon aufgestiegen.“ Immerhin, es schien ein Lächeln über sein Gesicht zu huschen.
Es sind euphorische Zeiten, die der Berliner Zweitligist gerade erlebt. Doch die Beteiligten selbst tun sich immer noch ein bisschen schwer mit dem Überschwang, allen voran Trainer Jos Luhukay. Der Holländer bekannte nach dem Sieg gegen Braunschweig, dass er „in den letzten Tagen nicht so das gute Gefühl“ gehabt habe. Luhukay fürchtete den Abgang seines überragenden Spielers Ronny, und die jüngsten Einlassungen von dessen Berater Dino Lamberti in diversen Medien ließen diese Furcht nicht unbegründet erscheinen. „Wir haben uns Stand heute nicht geeinigt und suchen jetzt andere Lösungen“, hatte Lamberti noch am Sonntagmittag dem Tagesspiegel gesagt. Ronny sei nicht zufrieden mit Herthas Angebot, er orientierte sich nun anderweitig, und an lukrativen Angeboten mangele es nicht. Luhukay war daher „auch etwas überrascht“, als ihn Manager Michael Preetz gut zwei Stunden vor dem Spiel gegen Braunschweig von der plötzlichen Wendung in der Causa Ronny informierte. Fünf Minuten vor Spielbeginn verkündete Herthas Stadionsprecher den 50 000 Zuschauern im Olympiastadion, was Preetz kurz zuvor im Fernsehinterview noch abgestritten hatte: dass Ronny bei Hertha einen neuen Vierjahresvertrag unterschrieben hat.
Die Nachricht wurde von ausgelassenem Jubel begleitet. Dieser Abend, so viel war nun klar, konnte kein schlechter mehr werden. Dass er für Herthas Fans ein triumphaler werden würde, war auch in der Folge vor allem Ronny geschuldet. „Es war ein toller Abend für Berlin“, sagte Preetz nach dem souveränen Sieg gegen den Tabellenzweiten, „ein toller Tag für Hertha.“ Und für Ronny selbst? „Es war ein sehr hektischer Tag“, antwortete er. Erst am Spieltag hatten die Verhandlungspartner laut Preetz „den entscheidenden Durchbruch“ erzielt. Den Ausschlag gab wohl, dass sich Hertha noch einmal bewegt hatte und dem Mittelfeldspieler eine längere Vertragslaufzeit anbot. Zuvor war von zwei oder drei Jahren die Rede gewesen, nicht von vier. Ronnys Seite erhielt die gewünschten Klauseln im Vertrag, Hertha die leistungsbezogenen Zahlungskomponenten.
Danach hatte es noch am Sonntag nicht ausgesehen. „Die Fronten sind verhärtet, wir warten, dass Hertha auf uns zukommt“, sagte Lamberti da, der mit den Zahlen nicht zufrieden war. Auch Eitelkeiten spielten eine Rolle: dass Adrian Ramos zum Beispiel mehr verdiente als sein Kumpel Ronny; dass sich andere Trainer öfter beim Berater gemeldet hätten als Jos Luhukay. So sollte Ronny laut Lamberti schon einen Vorvertrag bei einem Bundesligisten unterschrieben haben, der aber noch keine Gültigkeit besessen habe. Was auch immer davon gestimmt hat: Mit seiner öffentlichen Verhandlungsführung kamen der Agent und sein Klient ans Ziel. „Die Gerüchte gehören dazu“, sagt Ronny selbst, der von Angeboten aus Deutschland, Italien und Brasilien spricht.
Michael Preetz weiß ebenfalls , dass solche Winkelzüge zum Geschäft gehören, deshalb habe er die Situation auch nie so dramatisch eingeschätzt, wie sie in den vergangenen Tagen gemacht worden war, sagt er. Er war immer „davon überzeugt, dass wir nicht aus dem Rennen sind“ und habe die Einlassungen Lambertis nicht als öffentliche Drohungen empfunden. „Wir haben uns zu jeder Zeit in einem vernünftigen Dialog befunden“, sagt Herthas Manager. Außerdem sei es Ronnys gutes Recht, sich anderweitig zu informieren.
Dass der Brasilianer sich letztlich für den Verbleib in Berlin entschieden hat, wird von allen Seiten als ein Sieg des Gefühls über den Kommerz verkauft, auch wenn Ronny bei Hertha nicht mit Erdnüssen bezahlt werde, wie Preetz klarstellt. „Hertha ist eine Herzensangelegenheit“, sagt der Brasilianer selbst. Die „beste Zeit meiner Karriere“ erlebt Ronny in Berlin. Hier wird er geschätzt und von den Fans geliebt, hier kennt er sich aus, und vor allem arbeitet er hier mit einem Trainer, der ihm uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringt. „Die besondere Kombination Luhukay/Ronny war entscheidend“, sagt Preetz. Herthas Trainer hat aus einem schlampigen Genie den herausragenden Spieler dieser Zweitligasaison gemacht. Gegen Braunschweig erzielte Ronny seine Saisontore 15 und 16, zum 2:0 durch Ramos leistete er die Vorarbeit.
Doch es sind nicht nur die Tore und Vorlagen, die wuchtigen Freistöße und spektakulären Pässe, die Ronnys Entwicklung illustrieren; es sind die vermeintlich kleinen Dinge. Der Brasilianer nimmt sich kaum noch Kunstpausen. Seine Athletik hat sich erheblich verbessert. Ronny beteiligt sich jetzt auch verlässlich am Pressing seines Teams und läuft den ballführenden Spieler des Gegners im Sprint an.
Dennoch ist ein gut ausgestatteter Vertrag über vier Jahre auch ein Wagnis. Der bald 27-Jährige muss beweisen, dass er die im dritten Hertha-Jahr gezeigten Leistungen bestätigen kann. „Ich traue ihm auf jeden Fall eine so dominante Rolle in der Bundesliga zu“, sagt Luhukay. Einig sind sich alle zumindest in einem Punkt: „Es ist gut, dass jetzt Ruhe herrscht“, findet Ronny. Mit dieser Ansicht steht er ganz sicher nicht alleine da.
Dominik Bardow/Stefan Hermanns
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