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Turbulente Diskussion zur Präsentation des Buches „Genosse General! – Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen“ in der Staatskanzlei

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Turbulente Diskussion zur Präsentation des Buches „Genosse General! – Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen“ in der Staatskanzlei Von Jörg Muth Es hatten sich so viele Besucher angesagt, dass die Podiumsdiskussion in den Brandenburg-Saal der Staatskanzlei verlegt werden musste. Die Landeszentrale für politische Bildung und das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) hatten am Montagabend zu einer öffentlichen Diskussion über militärische Führungsschichten des 20. Jahrhunderts eingeladen. Gleichzeitig wurde die im Auftrag des MGFA erstellte Publikation „Genosse General! – Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen“ nochmals der Öffentlichkeit vorgestellt (PNN berichteten über das Buch am 30.10.03). Hans Ehlert vom MGFA wies in seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass der Veranstaltungstermin mit Bedacht gewählt worden sei. Der erste März sei traditionell der „Tag der NVA“ gewesen. An diesem Tag seien öffentlich Beförderungen ausgesprochen und Prämien verteilt worden. Die militärischen Führungseliten einer Nation seien grundsätzlich Garant für das Funktionieren des politisch-gesellschaftliche Systems eines Landes. Deswegen sei es auch so wichtig, diese Personengruppe zu erforschen. In der Expertenrunde begann Armin Wagner als Mitherausgeber des Buches, mit einem etwas atemlosen, grundsätzlichen Überblick über die deutschen Offiziere seit Friedrich dem Großen. Im Detail analysierte er die NVA-Generale der höchsten Ebene. Bernhard R. Kroener, Inhaber des Lehrstuhls Militärgeschichte an der Universität Potsdam, stellte die Offiziere der kaiserlichen Armee, Reichswehr und Wehrmacht vor. Klaus Naumann vom Hamburger Institut für Sozialforschung präsentierte seine Forschungen zu den Offizieren der Bundeswehr. Als die Moderatorin des Abends, Martina Weyrauch, die Diskussion eröffnete, schien es nur wenige der Anwesenden zu wundern, dass sich Angehörige besagter NVA-Elite im Plenum befanden und zu Wort meldeten. Reinhard Brühl, Ex-Generalmajor und ehemaliger Leiter des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR (MGI), beklagte sich in einem langen Monolog über die im Buch „Genosse General!“ angewandte Methodik. Es werde keine Einbettung der NVA-Elite und ihrer Entscheidungen in die deutsch-deutsche politische Lage vorgenommen. Außerdem sei die Achse Berlin-Moskau als übergreifender Machtfaktor bei den Handlungsweisen und Entscheidungen der Biografierten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Armin Wagner entgegnete, dass auch die Wehrmachtsgeneräle in ein politisches Beziehungsgeflecht eingebunden gewesen seien, genau wie andere militärische Eliten. Dies enthebe die handelnden Personen aber nicht ihrer persönlichen Verantwortung für ihre Taten. Erich von Manstein oder Erwin Rommel seien für ihre individuellen Entscheidungen historisch genauso verantwortlich wie die Generale der NVA. Gerade um solche individuellen Entscheidungen deutlicher zu machen, sei für das Buch die Form der biografischen Skizze gewählt worden. Die zweite Attacke ritt der Ex-Generaloberst Fritz Streletz, dessen biografische Skizze in „Genosse General!“ von Wagner erstellt worden war. Er forderte mit lauter Stimme und unter permanenter Wiederholung von Wagners Namen und Dienstrang Rechenschaft, warum die Veranstalter die überlebenden Generale und Admirale, die im Buch porträtiert wurden, nicht zur Veranstaltung eingeladen hätten. Streletz verlangte außerdem vom Wagner Auskunft, warum dieser sich trotz seiner mehrmaligen Anschreiben nicht bereit erklärt habe, ihn zu treffen. Der Ex-Generaloberst stellte die Frage, ob der Historiker sich aus Feigheit geweigert habe. Als Verantwortlicher des MGFA für die Veranstaltung, ergriff Ehlert zuerst das Wort und entgegnete, man habe keine Veranlassung gesehen Ex-Generale der NVA speziell einzuladen, schließlich sei die Veranstaltung öffentlich und Streletz sei ja hier und könne reden. Wagner erklärte sodann, warum er darauf verzichtete, Streletz zu befragen. Aussagen von Zeitzeugen seien sehr subjektiv, und es sei immer problematisch, diese zu überprüfen. Es sei genug Material über Streletz vorhanden gewesen, außerdem habe der Ex-Generaloberst bereits in der Vergangenheit Interviews gegeben, die Wagner ausgewertet habe. Einen der Interviewer habe Streletz vor die Tür gesetzt, das habe er sich ersparen wollen. Damit hatte Wagner die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Wohl um die Wogen etwas zu glätten, zitierte er Beurteilungen aus Streletz Kaderakte, die ihn als „guten Organisator“ und „geistig beweglich“ beschrieben. Für die Zuschauer wären sicher auch die anderen Ergebnisse von Wagners Studie interessant gewesen: „Strelitz lässt jegliche auch nur ansatzweise kritische Reflexion über den Unrechtscharakter des politischen Systems, dem er diente, vermissen. Bis heute leugnet er Todesschüsse und Tote an der innerdeutschen Grenze.“

Jörg Muth

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