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Homepage: Elternbesuche und Seminare bei der Pioniertante

Die Ausbildung fand auch außerhalb des Unterrichts statt. Es gab Klassenleiter, Freizeitgestalter und Ferienhelfer. Von Josef Drabek

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Josef Drabek, 1939 in Böhmen geboren, studierte von 1958 bis 1962 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, dem Vorläufer der heutigen Potsdamer Universität. Derzeit schreibt Drabek seine Erinnerungen „Von Böhmen nach Brandenburg. Wege zwischen Weltkrieg und Wende“, deren erster und zweiter Teil vorliegt. Der dritte Teil zu Brandenburg beginnt mit der Studienzeit. Auszüge daraus erscheinen in den PNN.

Unser Lehrerstudium hat nicht nur auf die Unterrichtstätigkeit als Fachlehrer vorbereitet (siehe PNN-Ausgabe vom 13.01.2016), sondern auch auf die Arbeit des Klassenleiters. Dieser sollte mit den anderen Fachlehrern kooperieren, um die Entwicklung der Schüler seiner Klasse zu koordinieren und in Form pädagogisch-psychologischer Aufzeichnungen zu dokumentieren. Hinzu kam die Organisierung der Klassenkonferenzen, auf der die „Tugendnoten“ Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung festgelegt, Informationen über Fachzensuren und verbale Beurteilungen der Schüler ausgetauscht wurden.

Des Weiteren oblag dem Klassenleiter das Zusammenwirken mit den Eltern der Klasse. Dazu gehörte im ersten Jahr der Besuch jedes Elternhauses, um sich ein Bild von der häuslichen Situation zu machen. Spätere Besuche erfolgten nach Bedarf. Wichtig waren die Elternversammlungen und die Wahl des Elternaktivs, zu dem der Kontakt nicht abreißen sollte. Falls die Klasse eine Patenbrigade hatte, musste diese Verbindung ebenfalls gepflegt werden. Auch über solche Aufgaben wurde in Lehrveranstaltungen informiert, aber leider wenig methodisch aufbereitet und praxisnah.

Außerunterrichtlich sollte der Klassenleiter Freizeitgestalter für die Schüler sein, das heißt vor allem die Funktion des Pioniergruppenleiters ausüben. Die Pioniere einer Klasse, und das waren meist alle, bildeten eine Gruppe, und der Klassenleiter spielte quasi den „Oberpionier“. Um uns auch dafür zu befähigen, fanden diverse Veranstaltungen statt, z. B. eine Vorlesung mit dem hochtrabenden Titel „Pädagogische Probleme der Pionierorganisation“ und ein „Pionierseminar“ bei Assistentin Hella Breuer, der „Pioniertante“. Was da im Einzelnen gelehrt wurde, weiß ich nicht mehr. Es ging aber in erster Linie um die inhaltliche Gestaltung der Pioniernachmittage. In Bezug auf sportliche und künstlerische Aktivitäten sind wir durch Studentensport und Musische Erziehung darauf vorbereitet worden. Um das breite Spektrum der Freizeitgestaltung erlernen und erleben zu können, gab es ein Pionierlagerpraktikum.

Dieses absolvierten wir während des Sommers 1959 im Zentralen Pionierzeltlager Groß Köris. Das am Großen Roßkardtsee gelegene Objekt war eines der 49 DDR-Ferienlager, in die Junge Pioniere delegiert wurden. Als Trägerbetrieb für die mit 1000 Plätzen ausgelegte und in vier „Freundschaften“ unterteilte Einrichtung fungierte der VEB Schwermaschinenbau „Heinrich Rau“ Wildau, der Namensgeber und wirtschaftlich verantwortlich war. Die pädagogische Betreuung der Gruppen als Ferienhelfer lag, neben einigen Lehrlingen des Betriebs, in den Händen von uns Lehrerstudenten.

Für jeden Gruppenleiter begann der Praxistag mit dem Wecken seiner Gruppe, dem Frühsport und Morgenappell, setzte sich fort über die Betreuung bei den Mahlzeiten und der Mittagsruhe bis zum Schlafengehen. Die hauptsächliche Betätigung bestand darin, die Gruppe sinnvoll zu beschäftigen. Dazu gehörten sportliche Aktivitäten, Gelände- und andere Spiele, Wanderungen, Erkundungen, Baden, Singen, Tanzen und Gute-Nacht-Geschichten. Derartige Freizeitgestaltung hat uns später sehr geholfen, mit der eigenen Klasse entsprechende Veranstaltungen, Wandertage, Klassenfahrten und Ferienspiele zu gestalten.

Da für mich keine Gruppe übrigblieb, wurde ich in einer „Freundschaft“ Sportverantwortlicher. Dieser musste die Leiter zur Durchführung des Frühsports befähigen, Übungen ausdenken und demonstrieren, Sportwettkämpfe organisieren und die Kleinfeld-Fußballmannschaft auf das Lagerturnier vorbereiten. Weil mir dazu das Knowhow für Technik und Taktik fehlte, belegte meine Truppe nur den letzten Platz. Im Unterschied zur Bundesliga wurde ich aber nicht gekündigt, sondern sollte manchmal eine Gruppe betreuen, um deren Leiter ein paar Freistunden zu verschaffen.

In der gemeinsamen Freizeit haben wir ausgiebig gebadet und „Titanic“ gespielt. Dazu wurde das überladene Lagerboot so lange geschaukelt, bis es voll Wasser lief und der „Kapitän“ mit Stentorstimme rief: „Rette sich, wer kann“, worauf die „Passagiere“ kreischend in den See sprangen und der Schiffsführer seemännisch grüßend unterging. Danach wurde das Gefährt an Land geschleppt, Wasser ausgeschöpft und die Vorführung zum Gaudium der Kinder wiederholt.

Am späten Abend traf sich der „eiserne Kern“ in der Lagerwerkstatt, die laut Schild über der Tür „Zum stumpfen Hobel“ hieß. Auf Werkbänken sitzend tranken wir Bier aus Schnappverschlussflaschen, aßen frisches, mit Schmalz bestrichenes Brot und saure Gurken. Derart gestärkt erklangen gängige Lieder, allen voran die „Märkische Heide“, die heimliche brandenburgische Hymne, die damals wegen ihrer Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten aber nicht gern gehört wurde.

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