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Immer schön in der Spur bleiben. Die Dame in Grün von der Verkehrswacht muss am Anfang noch das Rad festhalten. Später schafft es Emilia aus Serbien, die im Flüchtlingsheim am Lerchensteig wohnt, auch ohne Hilfe.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Emilia lernt Radfahren

Im Potsdamer Flüchtlingsheim am Lerchensteig wurden sicheres Fahren und richtiges Verhalten im Straßenverkehr geübt

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Dass der Sattel zu hoch ist, macht nichts. Zohar will trotzdem rauf aufs Rad und den Fahrsimulator ausprobieren. Den hat die Potsdamer Verkehrswacht zum Verkehrssicherheitstraining, das am gestrigen Dienstag im Flüchtlingsheim am Lerchensteig stattfindet, mitgebracht. Zohar, zwölf Jahre alt und aus Syrien, kann schon Rad fahren und gehört somit auch zur Zielgruppe an diesem Nachmittag. Wie alle anderen Kinder in Potsdam sollen auch die der zugezogenen Flüchtlingsfamilien lernen, sich im Straßenverkehr sicher und angstfrei zu bewegen – ob als Fußgänger oder Radfahrer.

Weil so ein Nachmittag mit sieben Kollegen der Verkehrswacht etwa 150 Euro kostet, hat Potsdams Sozialdezernentin Elona Müller-Preinesberger (parteilos) dafür im vergangenen Jahr Spenden gesammelt. Zu ihrem Geburtstag kamen 725 Euro zusammen. Das Training im Awo-Heim im Lerchensteig ist der erste Termin, weitere in anderen Heimen sollen folgen.

In dem Flüchtlingsheim am nördlichen Stadtrand, ein Containerdorf, das erst vor etwa einem Monat in Betrieb genommen wurde, leben derzeit 173 Personen. Darunter sind auch zwölf Familien mit insgesamt 42 Kindern. Die freuen sich zwar über das weitläufige Gelände, auf dem es genug Platz zum Spielen und Toben gibt. Dafür ist der Weg zur Schule und zum nächsten Supermarkt etwas weiter, nach Bornstedt kommt man von hier aus nur mit dem Bus. Oder mit dem Fahrrad, sofern man eins hat. „Radfahren zu können bedeutet Mobilität und Unabhängigkeit“, sagt Awo-Geschäftsführerin Angela Basekow, die beim Training dabei ist.

Das Radfahren an sich ist meist schnell gelernt. Doch auch Zohar fährt bisher nur auf dem eingezäunten Gelände umher – für den Straßenverkehr fühlt er sich noch zu unsicher. „Wer bisher in entlegenen Bergregionen gewohnt hat, für den ist das hier schwierig“, sagt Müller-Preinesberger. „Hier ist alles anders, die Straßen sind schick und neu, die Häuser größer, vor allem es gibt viel mehr Autos“, sagt ein junger Mann aus Albanien. Auch die Jugendlichen drehen endlose Runden in großen Tretautos. „Es macht Spaß, ist eine Abwechslung“, sagt er.

Zohar fährt derweil im Stehen auf dem Simulator, der im Laderaum eines Kleintransporters aufgebaut ist. Auf dem Bildschirm sieht er eine Stadt, radelt flott durch eine kleine Siedlung und brettert dann plötzlich in zwei Fußgänger, die die Straße überqueren: „Game over“. Schon will er flott absteigen und verschwinden, aber Klaus Bergmann von der Verkehrswacht holt ihn zurück. Und beim zweiten Mal klappt es, Zohar bremst rechtzeitig und bleibt vor dem Fußgänger, der unvermittelt auftaucht, stehen.

„Ist nicht so einfach mit der Verständigung“, sagt Bergmann. Manchmal kommt eine Dolmetscherin dazu, dann klappt es gut. Aber meistens muss es so gehen, mit gebrochenem Deutsch, Englisch, Händen und Füßen. Wie bei Emilia: Brigitte Wagener und ihre Verkehrswachtkollegin laufen neben Emilia auf dem Kinderfahrrad her. Dazu braucht man wenig Worte. „Stopp ist international“, sagt Brigitte Wagener. Das Mädchen aus Serbien, acht Jahre alt und ein bisschen zart für ihr Alter, sitzt an diesem Frühlingstag erstmals auf einem Fahrrad. Nach einer Stunde klappt es ohne helfende Hände. Auf die hier aufgebauten Verkehrszeichen kann die kleine Radfahrerin freilich noch nicht achten. Doch andere Kinder wissen bereits, dass sie beim Zebrastreifen anhalten müssen.

Elona Müller-Preinesberger macht sich indes Gedanken über die echten Verkehrssituationen. Nachts sei die Straße vor dem Haus stockdunkel, es gibt keine Straßenbeleuchtung. „Hier müssen Laternen her, zumindest von der Bushaltestelle bis zum Gelände“, sagt sie. Vielleicht könnten bis dahin auch die reflektierenden Sicherheitswesten helfen, die die Verkehrswacht nach dem Training verteilt. Auch Kinderrucksäcke, gesponsert von der EWP, sind dabei.

Im Heim wird aber noch mehr gebraucht. „Wir suchen Nähmaschinen für unsere Nähwerkstatt, Fitnessgeräte, Fernseher und natürlich auch Fahrräder“, sagt Basekow. „Wir nehmen auch defekte Räder, die machen wir in der Werkstatt flott“, sagt sie. Bergmann von der Verkehrswacht ergänzt: Auch Fahrradschlösser, Kindersitze und vor allem Helme sind wichtig. Demnächst soll auch der Spielplatz, der bisher nur aus zwei Schaukeln besteht, mehr Spielgeräte bekommen. Die sollen in der hauseigenen Tischler-Werkstatt entstehen. Dann könnte es hier ein wenig freundlicher werden.

Denn auch wenn Potsdam seine Flüchtlinge zeitnah in Wohnungen unterbringen möchte, sei eine Aufenthaltsdauer von ein bis eineinhalb Jahren im Heim doch realistisch, sagt Müller-Preinesberger. Allein in diesem Jahr werden weitere 400 Flüchtlinge in Potsdam erwartet.

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