Landeshauptstadt: Ende einer Kaufhaus-Ära
Veränderte Bedingungen erzwingen Bruch mit traditionellen Konzepten
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Veränderte Bedingungen erzwingen Bruch mit traditionellen Konzepten Von Günter Schenke Immer wenn Weihnachten nahte, schoben sich zu DDR-Zeiten die „Menschenmassen“ dicht an dicht durch das Konsument-Warenhaus in der Brandenburger Straße. Im Treppenhaus mit seinen ausgetretenen Granitstufen ging es nur im Schneckentempo in die beiden oberen Etagen. „Karstadt“, wie die alten Potsdamer das Warenhaus immer noch nannten, war die einzige große Einkaufsquelle mit einem großen Sortiment weit und breit und entsprechend war der Andrang in den Spitzenzeiten. Nach der Wende übernahm der Horten-Konzern das Haus und abgesehen von dem veränderten Warenangebot ging es mit dem Kaufhausbetrieb, in dem 140 Leute Arbeit hatten, weiter wie bisher. Der Kunden-Zuspruch war nach wie vor groß, denn Einkaufscenter wie das Stern-Center und die Bahnhofspassagen gab es noch nicht. Im Gegensatz zum Horten-Kaufhaus in Frankfurt (Oder), das defizitär arbeitete, schrieb der Konzern in Potsdam dicke schwarze Zahlen. Doch konnte er nicht sicher sein, sich hier auf Dauer zu etablieren. Mit der DDR-Konsumgenossenschaft hatte Horten einen Zehnjahresvertrag geschlossen, doch der Vorkriegseigentümer, die Karstadt-AG, wollte die Immobilie zurückhaben. Die Oberfinanzdirektion in Cottbus, die inzwischen die Hand darauf hatte, strengte sogar eine Räumungsklage an. Neuer Entwurf Doch der Rechtsstreit schwelte weiter und Horten räumte seinen Platz nicht. Scheinbar unbeeindruckt davon hatten der Sanierungsträger Potsdam und der Karstadt-Konzern 1994 einen „städtebaulichen Realisierungswettbewerb“ gestartet, der wunderbare Kaufhauspläne hervorbrachte. Den ersten Preis erhielten Doris Piroth und Hinrich Baller aus Berlin. Sie wollten gewissermaßen die architektonische Tradition des Kaufhausbaues, für das auch Karstadt in Potsdam aus den Jahren 1905 bis 1929 ein Beispiel ist, fortsetzen und auf eine moderne Ebene stellen. Durch den Umbau sollte sich die Verkaufsfläche auf 12000 Quadratmeter verdoppeln. Der Hauptfassade wollten die Architekten wieder ihre ursprüngliche Qualität, die allerdings ein Bruch mit der barocken Ursprungsanlage darstellt, geben. Am neu aufgebauten Kaufhausflügel in der Jägerstraße sollte Glas dominieren, ein gläserner Fahrstuhl sollte die schnelle Verbindung zu den oberen Etagen herstellen. Trotz manch technischer Unzulänglichkeiten und erheblicher Neubau-Kosten war der Karstadt Konzern von dem Entwurf angetan und verkündete sogar einen Baustart 1997. Der Brand Zwar war Karstadt inzwischen rechtmäßiger Eigentümer der Warenhaus-Immobilie, doch Horten betrieb ungerührt sein Geschäft weiter. Bis es am 23. Februar 1996 brannte. Um 3.55 Uhr traf die Schreckensnachricht bei der Feuerwehr ein, fünf Minuten später war sie am Katastrophenort. „Wenn die Feuerwehr nicht so schnell vor Ort gewesen wäre, wäre alles abgefackelt“, sagte damals der Einsatzleiter der Polizei, Klaus Petermann. Das Feuer war in der Kosmetikabteilung ausgebrochen. Am Ende lagen große Teile der Verkaufsräume wie die Süßwarenabteilung in Schutt und Asche, eine dicke Rußschicht bedeckte die meisten Auslagen. Allein der Wert der vernichteten Waren wurde auf zehn Millionen Deutsche Mark beziffert. Zum Zeitpunkt des Brandes befand sich niemand in dem alarmgesicherten Gebäude. Die Kripo hat nie aufklären können, ob das Feuer durch einen technischen Defekt, durch Fahrlässigkeit oder gar durch Brandstiftung ausgebrochen war. Doch den Streit um den Kaufhausstandort half es beenden – wenn auch noch sieben Jahre ins Land gehen sollten, bis „Glück aus dem Unglück“ erwachsen konnte. Kein kleines KaDeWe Eigentlich hätte Karstadt die preisgekrönten Warenhauspläne nur aus der Schublade ziehen brauchen, um mit dem Neuaufbau zu beginnen. Doch das geschah nicht, die Baller-Piroth-Pläne waren bald passé. Karstadt verkündete, dass seine Bauabteilung die Sache selbst in die Hand nehmen wolle – kostengünstiger und etwas abgespeckt. Sogar einen Geschäftsführer bestellte der Konzern schon für das Potsdamer Haus. Der saß im Berliner „Kaufhaus des Westens“ (KadeWe), das Betreiber des neuen Warenhauses in der brandenburgischen Landeshauptstadt werden sollte. Mit einem Angebot von Marken des gehobenen Bereichs sollte auf zirka 14000 Quadratmetern Fläche Potsdams beste Adresse für das Einkaufen entstehen. Der Name „kleines KaDeWe“ machte die Runde. Doch daraus wurde bekanntlich nichts, obwohl Karstadt bereits die Bauunterlagen eingereicht hatte. Vor dem Hintergrund der veränderten Einkaufslandschaft scheint das Zögern verständlich. Vor allem die Eröffnung des Stern-Centers, mittlerweile eines der profitabelsten Einkaufszentren Deutschlands, führte zu einem Aderlass der Kaufkraft aus der Innenstadt in die Peripherie. Aber sie stoppte teilweise auch die Käuferabwanderung nach Berlin. Der Bau der Bahnhofspassagen schuf zusätzliche Unsicherheiten für Innenstadt-Investoren. Die Karstadt-Quelle AG setzt trotzdem auf Potsdam, reagiert aber mit einem neuen Konzept auf diese Bedingungen. Das entstehende Shopping-Center „Stadtpalais“ beendet praktisch die seit 1905 hier bestehende Ära eines traditionellen Innenstadt-Warenhauses.
Günter Schenke
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