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Landeshauptstadt: Ende einer „leidigen Angelegenheit“

Vor fünfzig Jahren ließ der Rat der Stadt Potsdam die Fassade der Synagoge abreißen – gegen den Widerstand des Denkmalschutzes

Stand:

„1938 geplündert, 1945 zerstört.“ – So lautet die Auskunft über das Schicksal der ehemaligen Potsdamer Synagoge auf der Internet-Seite „Wikipedia“. Es ist eine verbreitete Ansicht, dass das 1903 am heutigen Platz der Einheit errichtete jüdische Gotteshaus in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 vom Nazi-Mob schwer beschädigt und später beim Bombenangriff auf Potsdam am 14. April 1945 zerstört wurde. Das ist soweit korrekt – und doch nicht die ganze Wahrheit. Was wenige wissen: Die für das Potsdamer Stadtbild so wichtige Fassade des im nachfriderizianischen Barockstil durch den Architekten J. Otto Kerwien errichteten Gebäudes existierte noch bis zum Jahr 1957. Erst vor 50 Jahren wurde sie auf Beschluss des Rates der Stadt Potsdam abgerissen. Die jüdische Synagoge also gehört zu der mit dem Stadtschloss und der Garnisonkirche bereits prominent besetzten Reihe jener Gebäude, die erst zu DDR-Zeiten endgültig aus dem Stadtbild getilgt wurden.

Shimon Nebrat, Geschäftsführer der Gesetzestreuen Jüdischen Gemeinde Potsdam, hat in Archiven geforscht und wurde fündig. Aus dem Konvolut an Dokumenten aus der Zeit um 1957, das er den PNN zur Verfügung stellte, wird deutlich: „Die Synagoge ist nicht von Bomben zerstört worden“, so Nebrat, lediglich „das Dach wurde beschädigt“. Aus einem seinerzeitigen Gutachten des Diplom-Ingenieurs Preiss aus Dresden, beruflich damals tätig als Dozent für Statik an der Technischen Hochschule Dresden, geht hervor, dass „der Bauzustand dank der soliden Bauausführung die Wiederherstellung der Standfestigkeit mit verhältnismäßig einfachen Mitteln“ gestattete. „Nach erfolgter Sicherung ist möglichst bald der Wiederaufbau zu planen“, fügte Statiker Preiss hinzu. Wäre die Fassade erhalten worden, „hätten wir bereits heute wieder eine Synagoge“, ist sich der Vorsitzende des Potsdamer Synagogenbauvereins, Horst Mentrup, sicher. Die Fassade hätte als Platzhalter fungiert für einen späteren Wiederaufbau auf dem Grundstück Platz der Einheit 2-3. Da sich dort nun ein Wohnhaus befindet, sucht der Bauverein Sponsoren für einen Synagogen- Neubau an der Schlossstraße 1. Den Abriss der Fassade beschloss der Rat der Stadt Potsdam am 12. September 1956. Wie die von Shimon Nebrat recherchierten Unterlagen nachweisen, war der Abriss der Sandsteinfassade keineswegs unumstritten. Selbst hochrangige Institutionen der DDR setzten sich für deren Erhalt ein – und das in einem unmissverständlichen Ton: Der Stadtverwaltungsmitarbeiter Goßler machte am 28. September 1956 einen Aktenvermerk über sein Telefonat mit einem Herrn Schoder vom DDR-Kulturministerium. Dieser monierte, der Abriss wäre ein Verstoß gegen die Denkmalschutzverordnung. „Wer dagegen verstößt, wird bestraft.“ Und weiter: „In diesem Falle würde das Ministerium für Kultur den Rat der Stadt Potsdam verklagen und bestrafen müssen.“

Klar drückte sich auch Prof. Hamann, Nationalpreisträger des Jahres 1949 und Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus. Am 19. Februar 1957 schreibt er in einem Gutachten: „Da technisch keine Bedenken und finanziell nur geringfügige Schwierigkeiten bei einer Wiederherstellung des Hauses mit der ursprünglichen Fassade bestehen, bin ich entschieden der Meinung, dass alles getan werden muss, um den Abbruch der Reste des Hauses zu verhindern und seine Wiederherstellung zu beschleunigen.“ Die Synagoge sei „ein bedeutendes Steinchen im Mosaikbild der deutschen Kultur des 18. Jahrhunderts, das ein unerwartetes Glanzlicht auf die Ära Friedrich Wilhelm II. wirft“. Die „Brandenburgischen Neuesten Nachrichten“ schrieben in einem Artikel mit der Überschrift „In Potsdam für Potsdam gebaut“ zu der Stellungnahme Prof. Hamanns und anderer: „Wir meinen, nachdem wir Einblick in diese Gutachten bekamen, die Stadtverordneten Potsdams sollten noch einmal darüber beraten, ob diese Fassade nicht doch erhalten werden kann.“

Am 11. Mai 1956 antwortete ein Dr. Ing. Müller, Leiter der Außenstelle Nord des Instituts für Denkmalpflege, auf einen Brief eines Herrn Russ von der Abteilung Aufbau des Rates der Stadt Potsdam, die sich den Akten zufolge für den Abriss der Synagogen-Fassade stark machte: Der Denkmalschützer zeigt sich verwundert von einer „tendenziösen Polemik“ des Herrn Russ und stellt klar: „Mit allem Nachdruck betone ich nochmals, dass uns, als den für die wertvolle Historische Architektursubstanz unseres Volkes Verantwortlichen, dieses Objekt zu wertvoll erscheint, als dass man nicht mit allen Mitteln versuchen sollte, es dem Stadtbild zu erhalten.“

Die Aufbau-Abteilung des Rates der Stadt Potsdam versuchte zunächst „ein gemeinsames Kultur- und Speisehaus nebst Küchenbetrieb für die geplanten Bauvorhaben der Post, der Märkischen Volksstimme und der Forst unter Verwendung der Ruine“ am Synagogen-Standort zu errichten, wie Abteilungsleiter Gabriel am 15. Januar 1957 an die Abteilung Kultur des Rates der Stadt schrieb. Am 8. Januar sei aber eine endgültige Absage der drei „Objektträger“ erfolgt. Nun könne keine weitere Verantwortung für die Standsicherheit „dieser Ruine“ übernommen werden. Gabriel: „Der seinerzeit vom Rat der Stadt beschlossene Abbruch dieser Ruine ist daher nicht mehr hinauszuzögern.“ Das „Sachgebiet Enttrümmerung“ habe die Anweisung, „die hintere Aussenwand sowie die sehr schadhaften Zwischenwände sofort abzubrechen und lediglich die Strassenfront stehen zu lassen.“

Dass Gabriel sich weniger von materiellen, sondern ideologischen Zwängen leiten lies, verdeutlicht seine Stellungnahme vom 11. Juli 1956: „Es handelt sich bei der Ruine um eine Fassade mit byzantischem Decor, welche im Gegensatz zum Barock nicht aus dem Volke geboren ist, sondern der Laune eines romantisierenden Monarchen entsprang. Die Romantik ist bekanntlich gegen den Weltbarock Potsdams ein Rückschlag durch die Kirchenmacht und zählt nach Goethe zum Kranken“. Welch geistiges Klima im Rat der Stadt Potsdam seinerzeit herrschte, verdeutlichen Randglossen, die Mitarbeiter Russ handschriftlich unter einen Brief des Kulturministeriums setzte, worin dieses vor dem Abriss warnte: „Es riecht wie zur Zeit des Liberalismus“ und „Ich persönlich habe für die antiquierte, tote Kuriositäten-Sammlung aus einer Untergangsepoche kein Verständnis“.

Bis Mitte August 1957 haben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Abrissfraktion verschoben: Die Denkmalschützer bleiben bei ihrem Nein, doch das DDR-Kulturministerium erklärte sich am 6. August 1957 mit dem Abriss einverstanden: „Ich hoffe, damit die leidige Angelegenheit auch in ihrem Sinne zu Ende geführt zu haben“, schreibt ein Herr Heese vom Kulturministerium. Daraufhin kann Herr Russ im Rat der Stadt dem Referat Enttrümmerung am 9. August 1957 anweisen, „mit dem Abriss der Ruine sofort zu beginnen“.

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