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Von Henri Kramer: Ende ohne Ende

Der Anti-Neonazi-Verein „Jugend engagiert in Potsdam“ löst sich auf: Ein Mitglied blickt zurück

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Eine Foto-Love-Story über die Beziehungskisten in der Potsdamer Neonazi-Szene: Diese spaßige Idee stammt aus dem Verein Jugend engagiert in Potsdam (JeP e.V.) – zusammen mit vielen anderen ernst gemeinten Vorhaben wie der Betreuung von Opfern rechtsextremer Straftaten bis hin zu Schülerprojekten gegen Rassismus. Doch aus den Absichten wird nichts mehr: Der Verein befindet sich bereits seit Januar in Auflösung.

Friederike Johannsen ist eines der letzten verbliebenen Mitglieder. Die 21-Jährige sitzt am Tisch eines Innenstadt-Cafés, die Unterlagen ihrer Zeit beim JeP vor sich. Erinnerungen. Anfang 2005 wird der Verein gegründet. Damals ist Friederike 18 Jahre alt: „Wir hatten das Gefühl, dass andere Opfer-Vereine gerade Jugendliche nicht erreichen.“ Die Potsdamer Neonazi-Szene gilt damals als besonders militant, vermehrt kommt es zu Überfällen. „Wir wollten die Opfer dazu bewegen, Anzeige zu erstatten.“ In den Anfangszeiten engagieren sich rund 20 junge Potsdamer bei JeP. Der Elan ist groß: Anträge auf Förderung werden gestellt, bald gibt es ein Büro in der Innenstadt.

Und schnell hat der Verein besonders viel zu tun. Im Sommer 2005 machen Rechtsextreme aus Berlin und Potsdam gemeinsame Sache: Sie rufen via Internet zum „Summer Of Hate“ in den Straßen der Landeshauptstadt auf. Innerhalb nur einer Juli-Woche dokumentiert JeP neun Übergriffe auf nicht-rechte Jugendliche, erinnert sich Friederike. Der Verein geht dann immer so vor: Die Opfer ausfindig machen, beraten, sie bei Zeugenaussagen begleiten, einen Anwalt organisieren, bei Bedarf einen Psychologen. Zuhören. „Der Gesprächsbedarf nach so einem Ereignis ist immer groß“, sagt Friederike.

Schließlich erreicht der Gewaltsommer 2005 seinen Höhepunkt: Der Angriff von 15 Neonazis auf zwei Potsdamer Studenten in der Friedrich-Ebert-Straße, weil der Mob aus einer Straßenbahn heraus einen der beiden Opfer als bekennenden Antifaschisten erkennt. Die Rechtsextremisten stoppen die Tram, springen heraus und verletzen die beiden Potsdamer schwer. Friederike erinnert sich an den Besuch im Krankenhaus einen Tag später: „Es war schwer, den Umgang zu finden, dass niemand merkt, dass diese Situation auch für mich schwer und neu war.“

Der Überfall soll sie und den JeP ein dreiviertel Jahr begleiten. Bis zum Frühjahr 2006 dauert der Prozess, der mit mehrjährigen Haftstrafen für sechs der Angeklagten endet. 32 Verhandlungstage lang begleiteten die Mitglieder des Vereins die Verhandlung und schreiben jedes Wort mit – neben Schule, Studium und Arbeit. Zudem organisieren sie, dass auch Schulklassen am Prozess teilnehmen. Später entsteht eine Broschüre über die Erlebnisse im Gericht. „Wir haben uns in der Zeit verausgabt“, sagt Friederike, erzählt von dem „täglichen Druck“, immer zu nur mit Neonazis zu tun zu haben. Dazu hätten sie die Anwürfe der Öffentlichkeit genervt, es gäbe eine „Gewaltspirale“ zwischen links und rechts: „Die Angriffe gingen aber in allererster Linie von den Rechten aus.“ Doch habe das die Öffentlichkeit kaum registriert: „Junge Menschen werden manchmal nicht ernst genommen.“

Schließlich scheitern Verhandlungen, dem Verein eine halbe Stelle zu finanzieren. An diesem Punkt sinkt stetig die Motivation für das ehrenamtliche Projekt, es gibt kaum noch Zulauf, kaum noch Spenden. „Wir haben die begonnenen Fälle zu Ende betreut“, sagt Friederike. Doch neue werden nicht mehr angenommen. Auch die Situation in Potsdam entspannt sich, weil die führenden Köpfe der Neonazi-Szene in Haft sind. Anfang dieses Jahres beschließen die verbliebenen Mitglieder die Auflösung von JeP. „Das war schon sehr schade“, sagt Friederike. Zurzeit wohnt sie in Berlin, holt ihr Abitur nach. Doch Potsdam besucht sie noch immer häufig. Und interessiert sich weiter für die Neonazis hier vor Ort: Deren Szene werde zwar größer, doch sei sie nur schwach organisiert – bis auf gemeinsame Ausflüge zu rechtsextremen Demos. Wie lange die Ruhe noch hält, darauf will sie nicht spekulieren. Irgendwann kommen die Täter von 2005 wieder aus dem Knast. Friederike warnt: „Das Problem hat sich nicht aufgelöst.“

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