
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Endlich Fußball spielen
Potsdamer Mediziner behandelten neunjährigen Jungen aus Afghanistan erfolgreich
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Innenstadt - Husein sitzt auf dem Fahrrad und lacht. Erst vor wenigen Tagen ist der neunjährige Junge aus Afghanistan zum ersten Mal in seinem Leben in die Pedalen getreten. Die Freude darüber ist auch jetzt in seinem Gesicht zu lesen. Zwar ist das Rad ein Spezialgerät mit zwei Hinterrädern. Doch Husein wird bald auch auf einem richtigen Zweirad fahren dürfen.
Als Husein im Juli 2011 nach Deutschland kam, konnte er nur unter großer Anstrengung einige Schritte gehen. An Fahrrad fahren war nicht zu denken. Der rechte Fuß des Jungen war deformiert und um 180 Grad nach hinten verdreht, das Bein war verkürzt. „Wir kennen die genaue Ursache seiner Fußfehlstellung nicht“, erklärt Dr. Gert Pietsch, Chefarzt für Neuroorthopädie an der Oberlinklinik in Babelsberg. Er behandelt Husein seit September des letzten Jahres. Der Junge aus Afghanistan erlitt im Alter von zwei Jahren offenbar schwerste Verbrennungen. Sehnen, Muskeln und Blutgefäße vernarbten so stark, dass der Fuß sich nicht mehr normal entwickeln konnte. Das verhärtete Gewebe zog Knochen und Gelenke in eine unnatürliche Stellung.
Dass Husein heute wieder laufen kann, verdankt er einer sechsstündigen Operation – und „Friedensdorf International“. Diese Hilfsorganisation mit der Zentrale im niederrheinischen Dinslaken unterstützt seit 1967 Kinder in Krisengebieten mit medizinischer Einzelfallhilfe. In den Heimatländern fehlen oft Expertenwissen, medizinische Ausrüstung und Geld, um die Kinder angemessen zu behandeln. In diesen Fällen vermittelt Friedensdorf zwischen denjenigen, die Hilfe benötigen und denen, die sie anbieten können.
„Als wir gefragt wurden, ob wir Husein behandeln können, sagten wir zu“, erzählt Gert Pietsch. Die Behandlung sei eine medizinische Herausforderung gewesen, betont der Mediziner. Das Wissen von drei Experten war notwendig, um Huseins Fuß wieder so herzustellen, dass eine Belastung möglich ist. Neben Gert Pietsch behandelten Dr. Robert Krause, der Chefarzt für Kinderorthopädie an der Oberlinklinik, und Dr. Mojtaba Ghods, der Chefarzt für Plastische Chirurgie am Ernst von Bergmann-Klinikum, den Neunjährigen. Sie richteten den Fuß orthopädisch aus und führten eine Hautlappentransplantation durch. Die Behandlungskosten übernahmen die beiden Kliniken. Ärzte und Anästhesiepersonal hatten die Operation in ihrer Freizeit und unentgeltlich durchgeführt. „Wir möchten etwas von den medizinischen Möglichkeiten, die wir hier in Deutschland haben, weitergeben“, sagt Pietsch. Wenn die Behandlungen Erfolge zeigten, sei das für alle Beteiligten eine große Freude.
„So einen Fall wie diesen sehen wir vielleicht einmal im Jahr“, betont Mojtaba Ghods, der bereits zum fünften Mal ein Kind aus Afghanistan kostenlos operiert hat: „Solche Befunde gibt es in Deutschland gar nicht.“ Denn wäre Husein früher behandelt worden, wäre es nicht zu der extremen Fußfehlstellung gekommen.
Drei Monate hat Husein insgesamt im Krankenhaus verbracht. Die Zeit vor und zwischen den Behandlungen lebte er im Friedensdorf Oberhausen im Ruhrgebiet, gemeinsam mit anderen afghanischen Kindern. Nun wird er wieder dorthin zurückkehren, bevor der nächste Sammelflug ihn und die anderen Kinder zurück nach Hause bringt. „Wir wollen, dass die Kinder während der Zeit in Deutschland zusammenleben, sich in ihrer Sprache unterhalten und ihre Traditionen nicht vergessen“, erklärt Projektleiter Christian Heisig. Das erleichtere den Kindern, die durchschnittlich etwa sechs Monate in Deutschland verbringen, die Rückkehr.
Die Behandlung in Deutschland hat Husein neue Lebensperspektiven eröffnet, er wird ein normales Leben führen können. „Ich kann alles machen, aber ich muss üben“, sagt er mit einem Lächeln und strahlenden Augen. Am meisten freut er sich auf seine Familie. Und darauf, endlich Fußball spielen zu können.
Heike Kampe
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