Landeshauptstadt: Englisch auf Ratenzahlung
Rege Nachfrage an 44 Ständen: Überraschendes und viele Angebote beim 22. Seniorentag im Stern-Center
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Seniorentag im Stern-Center: Zwischen den Ständen, die gepflegte Plätze im Seniorenwohnheim, ein Ehrenamt oder ein Blutdruckmessgerät anbieten, sticht das Plakat hervor: „Schickes Altern“. Und dazu offeriert es einen Smartphone-Tablet-Kurs – als Sonderangebot für 40 statt 60 Euro. „Altern wird sonst immer mit Pflege, Renten und Kosten gleichgesetzt“, sagt die Gerontologin Gisela Gehrmann: „Die vier üblichen Themen sind Reisen, Gesundheit, Garten und Enkel.“ Mit ihrem Büro „Schickes Altern“, das seit zehn Jahren besteht, will sie insbesondere die jüngeren, kurz vor der Rente stehenden Menschen provozieren – und ansprechen. „Altern ist anders, nicht so brav“, sagt die Fast-60-Jährige. Die Generation der zwischen 1953 und ’68 geboren Babyboomer müsste die ihnen geschenkten 15 Lebensjahre – bis zum 70. Geburtstag – mit Inhalten füllen. „Altern bedeutet deshalb Sinnsuche und Power“, ist Gehrmann, die seit 35 Jahren in Potsdam lebt, überzeugt.
Ist man mit 60 oder 65 Senior – oder doch erst ab 70? Niemand schien das bei der offiziellen Eröffnung des 22. Seniorentags so recht beantworten zu können. Wolfgang Puschmann vom Potsdamer Seniorenbeirat zählt in der Landeshauptstadt rund 35 000 Menschen ab 60 Jahren dazu. „Das lässt sich nicht an einem bestimmten Alter festmachen“, sagte dagegen Brandenburgs Sozialministerin Diana Golze (Linke). Ohnehin sieht man vielen Sängerinnen und Musikern auf der Bühne sowie vielen Besuchern, die sich Blutdruck oder Blutzucker messen lassen, ihr höheres Alter nicht an.
Zum Beispiel Lilo. Beharrlich klappert sie die Stände ab. Der Seniorentag ist ihr nicht neu – dieses Mal aber hat sie sich mit Material am Alzheimer-Stand eingedeckt. „Jedes Jahr ist für mich ein anderes Thema aktuell“, erzählt die 75-Jährige. „Heute bin ich etwas traurig. Ich habe erfahren, dass mein Bruder stark dement ist.“ Dagegen lässt sie das Thema „Wohnen im Alter“, dem sich viele der 44 Stände widmen, eher kalt, hat sie doch zusammen mit ihren Kindern in Marquardt ein Haus gebaut. „Dafür bin ich an meine Reserven gegangen.“ Nun lebe sie oben, über Sohn und Schwiegertochter, „in einer wunderschönen Wohnung“. Sie könne kommen und gehen, wann sie wolle – und das ist der Frühaufsteherin wichtig: „Ich bin morgens die Erste und abends die Letzte.“
Auch Anbieter von Dienstleistungen für Senioren versuchen, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Die Johanniter bieten in Potsdam seit 2011 sogenanntes Service-Wohnen an. Gedacht sind die 61 Plätze in Potsdam-West als Vorstufe des betreuten Wohnens für jene, die sich noch eigenständig versorgen können, aber gerne in einer Gemeinschaft leben, die sich Schwimmbad, Sauna, Bibliothek und Concierge teilt. „Die Generation 70 plus fühlt sich noch nicht nach betreutem Wohnen“, sagt Mitarbeiterin Stefanie Unger. „Sie fährt Fahrrad und geht walken.“
Allerdings muss sich das Leben im Alter finanzieren lassen. Hans-Jürgen Bolz steht für die „IG Bauen – Agrar – Umwelt“ ehrenamtlich vor dem gemeinsamen Stand mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und dem Deutschen Gewerkschaftsbund und sammelt Unterschriften gegen Altersarmut. „Wir selbst haben so viel Rente zum Leben, dass wir nicht zur Tafel gehen müssen“, erzählt der 70-Jährige. Allerdings verdiene seine Frau ein paar Euro dazu, obwohl auch sie Rentnerin sei. Dass sie nach Sonderangeboten Ausschau halten und gute gebrauchte Kleidung im Bornimer Sozialkaufhaus erstehen, sei Alltag. Umso mehr freut sich der Rentner, der früher auf Baustellen gearbeitet hat, wenn seine Frau ihn auf ihrer Umweltkarte abends nach 20 Uhr in Bus oder Bahn nach Potsdam mitnimmt – mal ins Kabarett Obelisk oder ins Hans Otto Theater, das für Senioren günstige Preise bietet. „Wichtig ist mir, wenn man nicht mehr krauchen kann, dass man im Senioren- oder Pflegeheim vernünftig behandelt wird und das auch bezahlen kann.“ Er hofft, noch lange in seiner Wohnung bleiben zu können – nicht zuletzt mit der Unterstützung von Kind und Enkel, die nicht weit entfernt wohnen.
Auf den Gemeinschaftsgedanken setzt auch Klaus-Dieter Späthe von der „Akademie 2. Lebenshälfte“ in Babelsberg. „Zu uns kommen Senioren, die gebildet sind, aber jede Woche dieselbe Gruppe treffen wollen.“ Manche lernen bereits seit acht Jahren gemeinsam Englisch. „Wer sich das finanziell nicht leisten kann, darf in Raten zahlen.“ Eine 79-Jährige erkundigt sich am Stand nach den Gruppen-Wanderungen. Noch erledigt die Stahnsdorferin ihre Einkäufe und Besuche per Fahrrad: „Ohne das wäre ich ja tot.“ Der früheren Sekretärin, die alleine lebt, bereitet Kopfzerbrechen, dass sie immer weniger selber tragen kann. „Meine Kinder kann ich nicht immer bitten.“
Isabel Fannrich-Lautenschläger
Isabel Fannrich-Lautenschläger
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