GEDENKSTÄTTE: Entmenschlichung, die über dieses Haus kam
Ein Rundgang durch die Mittwoch eröffnete Dauerausstellung der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße
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Das ist klar: Es wird kein Vergnügen. Der Bau ist alt, graubraun, kalt, ausladend. Im Mirbachwäldchen und an den Hängen des Pfingstberges dringt der Frühling durch jede Knospe; Spaziergänger tragen ihre Jacken überm Arm, alles ist farbig, nur dieser alte Gefängnisbau des sowjetischen Geheimdienstes wirkt wie ein Screenshot aus der Zeit des Schwarzweiß-Fernsehens. Das Eingangsgebäude funktioniert als Schleuse, eine freundliche junge Frau steht hinter einem weißen Tresen und lächelt. Einmal über den Hof, ums Haus herum, der Rundgang beginnt am Hintereingang, sagt sie.
Der Weg führt über die Fundamente der Freigangzellen; sie sind Stolperfallen, sie ragen aus dem Umgebungsniveau heraus. Ein Grundstück weiter spielen Kinder der nahen Grundschule, sie lachen und kreischen. Es gibt die Meinung, wonach wenige Meter unter ihnen, tief im Boden, Tote vergraben sein könnten. Erschossene Häftlinge. Im August 1945 hatte die sowjetische Besatzungsmacht die Villa Mirbachstraße 1, heute Leistikowstraße 1, in ein Untersuchungsgefängnis für einen ihrer Geheimdienste umgewandelt, für die Spionageabwehr, ein stalinistisches Terrorinstrument. In den Kellern wurde gefoltert, vielleicht auch getötet. Bewiesen ist Letzteres nicht.
An einigen Kellerfenstern fehlen die Gitter, dumpfe Stahlstümpfe ragen aus dem Mauerwerk. Eisenspritzer zeugen vom eiligen, grobschlächtigen Agieren mit dem Schneidbrenner. Die Gitter hatten Schrottwert, die Russen nahmen sie 1994 mit.
Der Eingang. Ein Treppenhaus führt ins Obergeschoss. Augenfällig ist die giftgrüne Farbe, die von den Wänden blättert. Dieses Giftgrün kann niemand mögen.
In der Diele der erste Ausstellungstisch. Dargestellt werden die drei Phasen des Hauses: Sitz der Evangelischen Frauenhilfe, Geheimdienstgefängnis, werdende Gedenkstätte nach 1994. Kritiker verstehen nicht, warum die Zeit vor der Gefängnisnutzung überhaupt von Interesse ist. In der Vitrine unter dem Holzkreuz liegt ein altes Foto, es zeigt eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, an einem Sekretär sitzend, in einer Broschüre blätternd, den Blick versonnen in eine unbekannte Ferne gerichtet. Ein Bild friedlicher Zivilität, mit Liebe aufgenommen, vielleicht vom Vater. Natürlich muss dieses Foto sein! Es entstand in der Pfarrerswohnung, die dieses Obergeschoss bis 1945 war und die dann in den sogenannten Vernehmerflügel und den Zellenflügel aufgeteilt wurde. Kein anderes Exponat verdeutlicht mehr den Grad der Gewalt, der Entmenschlichung, die über dieses Haus kam.
Im Zellentrakt wurde ein Duschraum zu einer Einzelzelle umfunktioniert. Es ist ein finsteres Loch, aus dessen Tiefe ein gespenstisches Brummen dringt. Ein Insekt, ein großes Insekt muss es sein. Der hintere, dunklere Teil der Zelle ist abgesperrt, man darf dort nicht rein und will es auch nicht. Aber die Neugier siegt. Langsam gewöhnen sich die Augen an das spärliche Licht, das Brummen lässt an eine riesige Hornisse denken! Ein Ofenrohr ragt aus der Wand, da heraus kommt das Brummen, das Rohr verstärkt das Brummen, wahrscheinlich ist nur eine Hummel, die sich verirrt hat. Erleichterung!
Im Vernehmerflügel fungierte ein Raum bis 1945 als Kinderzimmer der Pfarrwohnung, informiert eine graue Aufstellertafel. Ein wunderschöner schwarzer Kachelofen wurde zugemauert, damit Häftlinge nichts darin verstecken konnten. Beheizt wurde der Raum nach 1945 durch einen Zentralheizungskörper, gestrichen in diesem Giftgrün. Als „Aufmacherexponat“ des Zimmers dient ein etwa ein Meter hohes, rotgefärbtes Holzschild in einer Vitrine, darauf ein Holzschwert, das Symbol der sowjetischen Spionageabwehr. Die umfangreichen Darstellungen der Geheimdienststrukturen im Vernehmerflügel und im Erdgeschoss sind es, die die Kritiker mit dem Slogan „Kein KGB-Museum!“ auf den Plan rufen. Besucherfreundlich ist die Exposition dann, wenn Menschenschicksale in den Vordergrund rücken, ob von Tätern oder Opfern. So werden auch sowjetische Vernehmer mit Namen und Foto vorgestellt; konterkariert sind diese Angaben durch die Erinnerungen von Häftlingen an ihre Peiniger. „Von da an griff der Major Gorin zum wirksamsten Mittel“, schrieb einer: „Prügel und besonders Angst vor Prügel“. Ein anderer erinnert sich: „Der Verhörer, der war eigentlich ganz nett ...“
Kritiker monieren das Fehlen von Informationen über das Straflager-System in der Sowjetunion, dessen Teil die Leistikowstraße war. Auf einer Wandtafel steht: „Die letzten Deutschen wurden 1956 entlassen.“ Dem folgt ein merkwürdig unpräziser Satz: „Manche überlebten die Haft nicht.“ Manche? Wie viele sind manche?
Einladend sind die Medienstationen mit interaktiven Bildschirmen. Berichte und Zeitzeugen-Interviews können gesehen und gehört werden. Halbkiloschwere Hörer im grauen, metallenen Ausstellungsdesign sind dazu da, sie sich ans Ohr zu halten. Die Gefahr, dass einem Besucher irgendwann ein solcher Hörer auf den Fuß fällt, ist gegeben.
Die Temperaturen in den Räumen sind nur knapp zweistellig, in den Wänden des Hauses steckt noch der Winter. Durch die Fenster dringt die Frühlingssonne – und voilà, die Fenster lassen sich öffnen! Der Wunsch, nach draußen, in die Wärme, zurückzukehren wird übermächtig, doch das Eigentliche, das Authentische des Gefängnisses kommt noch, als Abschluss: die Kellerzellen.
Vorsicht, Herzschlaggefahr! Etwa 20 Sekunden nach Betreten des Kellers schließt ein automatischer Schließer die Tür – mit einem lauten „Rumms!“. Der modrige Geruch, der Blick in dunkle Verliese, die Deckeninschriften, die alten Versorgungsrohre, die Holzpritschen in den Zellen, all diese Eindrücke lassen die Tür nach dem Eintreten sofort in Vergessenheit geraten. Totale Stille. Schaudern. Verlorenheitsgefühl. Und dann hinter einem: „Rumms!“
In einer Zelle schält schräges Licht eine Einritzung aus der Wand. Eine Notiz, rechts oben, knapp unter der Decke. Sie ist so gut erhalten, als wäre sie erst gestern mit einem Nagel in den Wandkalk gekratzt worden: „27. 7. 1950“ steht da, und gleich darunter „Todesurteil“. Jetzt will man nicht nur an die frische Luft, jetzt muss man.
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